Wie ich ein Fisch wurde

Günter Kunert (* 6. März 1929 in Berlin; † 21. September 2019 in Kaisborstel)

Wolf Biermann singt Günter Kunert „Wie ich ein Fisch wurde“

Biermanns Vertonung ist für mich interessant, weil er (eigentlich bei allen Titeln auf der Platte „Hälfte des Lebens“) radikal das Metrum singt – geradezu skandiert. Hier peitschende, vorwiegend sechshebige Trochäen: „Meine | Arme | dehnten | sich zu | breiten | Flossen“.

 

4 Kurz bevor die letzten Kräfte mich verließen, Fiel mir ein, was man mich einst gelehrt: Nur wer sich verändert, den wird nicht verdrießen Die Veränderung, die seine Welt erfährt. 5 Leben heißt: Sich ohne Ende wandeln. Wer am alten hängt, der wird nicht alt. So entschloß ich mich, sofort zu handeln, Und das Wasser schien mir nicht mehr kalt. 6 Meine Arme dehnten sich zu breiten Flossen, Grüne Schuppen wuchsen auf mir voller Hast; Als das Wasser mir auch noch den Mund verschlossen, War dem neuen Element ich angepaßt. 7 Lasse mich durch dunkle Tiefen träge gleiten, Und ich spüre nichts von Wellen oder Wind, Aber fürchte jetzt die Trockenheiten, Und daß einst das Wasser wiederum verrinnt. 8 Denn aufs neue wieder Mensch zu werden, Wenn man’s lange Zeit nicht mehr gewesen ist, Das ist schwer für unsereins auf Erden, Weil das Menschsein sich zu leicht vergißt.

Aus: günter kunert: der ungebetene gast. Berlin und Weimar: Aufbau, 1965, Seite 12f (dort korrekt mit acht durchnummerierten Strophen).

Das Buch erschien 1966 in zweiter Auflage, obwohl Kunert immer heftig angegriffen wurde. 1963 brachte eine Bezirkszeitung der SED eine ganze Seite mit Beiträgen von Literaturwissenschaftlern und „einfachen Bürgern“ gegen drei Gedichte von Kunert. Damals waren Gedichte noch wichtig!

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