Experte der Euphorie

In seiner Rede vom 11. November 2015 tritt Ulf Stolterfoht konse­quent „als Experte der Euphorie“ auf und erzählt aus der eigenen Erfah­rung heraus vom Un­ver­ständlichen. Auf seine leichte und amüsante Art gibt Stolterfoht seine eigene Initia­tion preis, die er bei Oskar Pastior erfahren hat. Ähnlich einer Trans­zendenz­erfah­rung in der Musik tat sich für den Dichter ein ganz neuer Horizont auf: Das Nicht-Verstehen von schwie­rigen Gedichten. Und damit meint Stolterfoht in seiner Rede keines­wegs herme­tische Gedichte.

Denn Unverständlichkeit ist etwas ganz anderes als Schwer­verständ­lich­keit: Das schwer ver­ständliche, herme­tische Gedicht fordert mich als Leser zu herme­neuti­schen Best­leis­tungen auf, es ist klüger als ich und hält etwas von mir verborgen, aber ich, wenn ich nur intel­ligent genug, belesen genug und dazu noch beharr­lich bin, kann mir Einlass verschaffen in die geheimen Kammern der Schwer­ver­ständ­lich­keit. Wenn das schwer ver­ständliche Gedicht das aristo­krati­sche, elitäre und hier­archi­sche Gedicht ist, denn genau so hatte ich diese Gedichte im Deutsch­unterricht erlebt – der neben­bei ein sehr guter war –, dann waren diese Gedichte demo­kratisch und un­hier­archisch. Dass ich sie tatsächlich auch für nicht elitär halte, genau darum geht es ja in dieser Rede.

So spricht Stolterfoht dem Unverständ­lichen eine grosse Befreiung zu – eine Befreiung vom Zwang des Ver­stehens und somit auch eine Befreiung des Denkens. Erst so stellt sich für den Dichter Euphorie ein, die nur schwer vom Gefühl der Freiheit zu trennen ist. Oder wie er selbst ex negativo formuliert: „Plan-und Pflicht­erfül­lung sind schlechte Eupho­rie­produ­zen­ten“. Damit meint Stolter­foht aber keines­wegs aus­schließ­lich anarchi­sche Schreib­weisen, die ganz offensichtlich auf das Unver­ständ­liche setzen oder mit einer leeren, „her­unter­ge­kom­menen Sprache“ kommuni­zie­ren, wie Ernst Jandl das bezeich­nen würde. Ulf Stolter­foht inter­es­siert sich vielmehr für das komplex Arran­gierte, die hoch­gradig konzi­pierten Struk­turen und Formen, welche das Ver­ständnis er­kennt­nis­kri­tisch über­steigen. Des­wegen ist auch Oulipo und ihre auf den ersten Blick strenge, regel­geleitete Schreib­weise für ihn eine Befreiung. (…) / Walter Fabian Schmid im Poetenladen (dort auch die Rede zum Nachhören)

Münchner Reden 14
Ulf Stolterfoht
Wurlitzer Jukebox Lyric FL – über Musik, Euphorie und schwierige Gedichte
Münchner Reden zur Poesie
32 S., Broschur
Herausgegeben von Holger Pils und Frieder von Ammon
Lyrik Kabinett, November 2015
ISBN I 978-3-938776-40-7, 12,00 EUR

2 Comments on “Experte der Euphorie

  1. Gestern abend mit heller Aufmerksamkeit die Rede gehört. Das Schwer-Verständliche gegen den Fetisch der Verse von Mayröcker: Wunderbar! Im Sound der Mayröcker wird der Euphorie Kontinuität gegeben.

    Gropartige Rede über Poesie, die allein beim Hören vitalisiert und Lust auf nicht Auf-Anhieb-Verständliche bereitet. Ein „Muss“ für den Deutschunterricht!

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  2. Ob schwerverständlich oder unverständlich – als Leser möchte ich so oder so wissen, wie der Text gemacht ist, möchte ‚dahintersteigen‘.

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