Kejn mentsch, kejn licht

In der Warschauer «Folkszeitung», einer jiddischen Tageszeitung, erschienen 1927 die ersten Gedichte von Rajzel Zychlinski. 1910 in Gombin, einem polnischen Schtetl, geboren, ging Zychlinski Anfang der dreissiger Jahre nach Warschau, wo der Jiddische Schriftstellerverband 1936 ihren ersten Gedichtband unter dem Titel «Lider», Gedichte, mit einem Vorwort von Izik Manger, veröffentlichte. Schon damals wurde die Ausdruckskraft ihrer Sprachbilder erkannt, wurden ihre Gedichte als lyrische Miniaturen bezeichnet und ihre freien Verse gelobt. …

Während sie in den dreissiger Jahren in pastoralen Szenen die Landschaft beschrieb und in den vierziger Jahren Episoden aus der Thora in einer säkularen Sprache umformte oder nostalgisch das Schtetl beschwor und die Shoah fast metapoetisch reflektierte, evozierte sie in den späteren Gedichten das Strassenbild New Yorks in verbrämt realistischer Manier. «un chotsch in di frimorgnss / ajln dort gedichte massn mentschn / zu scheper, zu bjuroen – / is baj nacht dort schtil, / kejn mentsch, kejn licht», heisst es in «jene gass» (Diese Strasse dort: Und wenn auch frühmorgens dort / dichte Menschenmengen hasten / zu Fabriken und Büros, / nachts ist es still, / kein Mensch, kein Licht). / Stefana Sabin, NZZ 11.11.03

Rajzel Zychlinski: di lider. Die Gedichte. Jiddisch und Deutsch. Herausgegeben und übertragen von Hubert Witt. Verlag Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2003. 967 S., Fr. 38.-.

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