Gebet der Senegalschützen

Für dieses Gedicht von Léopold Sédar Senghor muss man vielleicht wissen, dass der Autor in Westafrika geboren wurde, als es eine französische Kolonie war, und seine Hochschulbildung in Frankreich erhielt. Und dass Frankreich die Bewohner der Kolonien für seine Kriege rekrutierte. Senghor wurde Soldat der französischen Armee und geriet 1940 in deutsche Kriegsgefangenschaft (wo er beinahe erschossen worden wäre). Nach Erlangung der Unabhängigkeit seiner Heimat wurde er Präsident der Republik Senegal.

Als Dichter begründete er zusammen mit Aimé Césaire und anderen das Konzept der „Négritude“, laut Verlagswerbung „der politischen und geistigen Einigkeitsbewegung aller Afrikaner, die Sartre als »eine liebevolle Einstellung zur Welt« definiert. »Négritude«, wie Senghor und Césaire sie begreifen, ist der Versuch. die Werte afrikanischer Kultur zusammenzufassen und dem Schwarzen Afrika Selbstvertrauen und Selbstbewußtsein zurückzugeben.“

Über seine Poetik schreibt er:

»Lyrik ist Gesang, wenn nicht gar Musik. Ich bestehe darauf, daß das Gedicht nur vollendet ist, wenn es Gesang wird: Wort und Musik zugleich. Es ist Zeit, den Verfall der modernen Welt, vor allem der Dichtung, aufzuhalten. Die Dichtung muß wieder zu ihren Ursprüngen zurückfinden, zu den Zeiten, in denen sie gesungen und getanzt wurde, wie noch heute im schwarzen Afrika.“

(2. Umschlagseite der von mir benutzten Ausgabe, s.u.)

Worterklärungen aus dem Band:

Woi: Lied, Gedicht – entspricht genau der griechischen Ode

Kora: eine Art Harfe mit 16 oder 32 Saiten. Der Dyali (Dichter, Sänger) begleitet die große Ode oder das Preislied mit der Kora

Hinweis zur Übersetzung: Der deutsche Übersetzer Janheinz Jahn, der mit Senghor befreundet war, übersetzt „l’honneur catholique de l’homme“ (die katholische Ehre des Menschen) mit „die allgemeine Ehre des Menschen“.

Léopold Sédar Senghor 

(* 9. Oktober 1906 in Joal, Senegal; † 20. Dezember 2001 in Verson, Frankreich) 

Gebet der Senegalschützen
(Woi für zwei Koras)
                                                 I

Herr, wenn ich dich anspreche, Dich der Du dunkele Gegenwart bist,
so nicht deshalb weil die Republik mich zum guten König meines Volkes
    ernannt hätte oder zum Deputierten der Vier Gemeinden.
Ich bin aufgewachsen in völlig afrikanischem Land, am Kreuzweg der Kasten,
    der Rassen, der Straßen
Und gegenwärtig bin ich Soldat zweiter Klasse unter den einfachsten aller
    Soldaten.
Du bist das Ohr für das kleinste Geflüster, Du hörst was man raunt des Nachts
    in den Hütten
Daß man die Gehörlose hergeschickt hat, die Rekrutierungsmaschine zur Ernte
    der hohen Köpfe
Du weißt es — und die Steppe wird still bis aufs schroffe Nein der freien Freiwilligen
Die ihren Gottkörper anboten, den Ruhm der Kampfbahn, für die allgemeine
    Ehre des Menschen.
Prière des Tirailleurs Sénégalais
(Woï pour deux kôras)
                                                 I

Seigneur! si je Te parle, Toi qui es l'Obscure Présence
Ce n'est pas que la République m’ait nommé bon roi de mon peuple 
    ou député des Quatre Communes.
J'ai poussé en plein pays d'Afrique, au carrefour des castes des races et des routes
Et je suis présentement soldat de deuxième classe parmi les humbles des soldats.
Toi qui es l'oreille des souffles minimes, qui entends les Chuchotements nocturnes 
    au-dedans des cases
Que l’on a lancé la Sourde, la machine à recruter dans la moisson des hautes têtes
Tu le sais — et la plaine docile se tait jusqu'au non abrupt des volontaires libres
Qui offraient leurs corps de dieux, gloire des stades, pour l’honneur catholique de l'homme.

Aus: Léopold Sédar Senghor: Botschaft und Anruf. Sämtliche Gedichte. Frz. u. dt. Hrsg. u. übersetzt von Janheinz Jahn. München: Hanser, 1963, S. 105

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