Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Veröffentlicht am 14. Mai 2021 von lyrikzeitung
Volker Braun
SCHMERZGEDÄCHTNIS Es war eine erste Berührung, ich scheute zurück Wie ein Füllen. Von ihrem Hals, oder war es Die Wange, ich weiß es nicht mehr, der Mund Gut, ich gebe den Kuß zu. Niemand sah uns Den Kuß, aus dem, warum, nichts folgte Es waren normale Zeiten, angstlos zeigte man Das nackte Gesicht. Es ist so lange her, dreißig, drei Jahre Ich sehe noch genau ihr helles dünnes Kleid, aufgeknöpft Von meinen Händen. Ich fuhr zurück, eine Scheu In Kindertagen im Körper bewahrt Ihre Nüstern zitterten noch, sie hielt mich fest Auf dem Steinweg, ich trabte hinab. Jetzt in den Zeiten der Pest Wir trügen Masken, beide Fest über Nase und Mund, der gehauchte Kuß zungen- und zahnlos zärtlich mit vorsichtshalber Auch geschlossenen Augen. Es wäre leicht.
Aus: Volker Braun, Große Fuge. Berlin: Suhrkamp, 2021, S. 22
Kategorie: Deutsch, DeutschlandSchlagworte: Volker Braun
Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..
Kann zu diesem Blog derzeit keine Informationen laden.
Was für ein eindrückliches und bewegendes Gesicht. Sanft und kraftvoll zugleich! Danke!
LikeLike