Frauenlob

Heinrich von Meißen, genannt Frauenlob

(* zwischen 1250 und 1260 in Meißen; † 29. November 1318 in Mainz)

Ein Gruß an sie! Sie nimmt sich meines Herzens an
und ist in meinem Glücksprojekt zugleich der schönste Gast:
Ist immer wieder da
mit neuen, prickelnden Ideen,
kurz: Freude über Freude bringt sie mir.
Was eine Frau! So viel verdank ich ihr,
all meine Sinne hat sie ganz und gar erfasst
mit ihrer großen,
unglaublich tief schürfenden Liebe.
Ich fühl mich neben ihr so klein,
wie ohne Kraft,
sie hat es echt geschafft –
ich gratuliere mir
zu ihrer echten, süßen, sanften Meisterschaft.

Nur zu, so wundert euch, dass eine Frau
mich derart überwinden kann. Ja, Liebe, ich muss klagen.
Mein falsches Denken
macht mir den eigenen Verstand zunichte,
und so hat sie mich wie von selbst besiegt.
Ich seh, wie alles nun in ihren Augen liegt:
mein Sterben und mein Auferstehn vom Tode,
mein Hoffen,
mein sanfter Trost und all mein Wünschen,
ach liebe, liebe Liebe!
Ich staune bloß,
bin willenlos,
kein Funke mehr Vernunft –
doch weil ich weiß, sie ist mir gut, freut mich mein Los.

Wenn ich alleine mit mir bin,
dann frag ich mich sogleich, wo denn die Schönste ist.
Mein Geist sagt mir: »Sie ist ganz tief
bei uns hier innen drin. Und hüte gut,
was du da hast, die wunderbare Gabe.
Verdirb dir nicht das Glück durch dein Gehabe.«
Ich denk: Wenn sie, die Wunderbare, nahe ist.
dann lass uns doch ein wenig plaudern,
das wäre Trost für meine Augen.
Schon rufen diese: »Nein! Gehört ja gar nicht dir!«
Das trifft mich sehr,
sodass ich schwör
und drohe meinen Sinnen:
Wenn sie einst mein ist, mach ich uns das Leben schwer.

Freund Geist, ich seh mein absolutes Glück,
ganz Engel und ganz Frau. Wünsch mir Erfolg, Erfolg,
Freund Geist, und wissen müsstest du,
dass sie durch bloßes Dasein meinen Augen
schon tausend Glücksgefühle hat gegeben.
Wie kämst du ohne sie durchs Leben?
Wie ohne die Zarte, Angenehme? Es darf und soll,
wer das gern will, sie sehen.
Sie hat so viel der schönsten Schönheit,
dass uns genügend davon bleibt.
»Du siehst sie zwar
mit Haut und Haar«,
mischt sich mein Geist gleich ein,
»doch sie gehört zum Großteil uns, der Ehrenschar.«

Ich will sie mir mit niemand teilen,
die reine, wunderbare, liebe, edle Seele.
»Gib’s auf, mein Freund,
die Augen sind ganz weit geöffnet,
und durch sie führt ein Weg hinein,
den geht sie für uns ganz allein.«
Ist das denn wahr, dass meine Augen mir die Frau wegstehlen?
»Ja, ohne Frage.«
Wer hilft mir dann, um sie zu kämpfen?
»Kein Mensch, lass deine Tollheit sein.«
So muss ich wohl von ihr
mir Hilfe holen hier,
damit ich siege.
»Nicht doch! Das tut sie nicht, entzogen haben wir sie dir.«

Übertragung: Axel Sanjose

Aus: Unmögliche Liebe. Die Kunst des Minnesangs in neuen Übertragungen. Hrsf. Tristan Marquardt und Jan Wagner. München: Hanser, 2017, S. 219ff

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