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Juror Andreas Heidtmann schreibt im Poetenladen über seine Eindrücke vom Finale des Lyrikpreises München. Auszug:
Vielleicht war es der zwanzigjährige Jonas Gawinski, der die spannendste Lesung des Abends bot. Einige Schwächen in der Durcharbeitung seiner Gedichte waren zwar offenkundig – womit noch einmal auf den uneinheitlichen Status der Einreichungen verwiesen sei –, aber sein Ton, die Intensität, auch einige originäre Bilder fanden Beifall. Man dürfe auf gar keinen Fall – so Àxel Sanjosé – solche Texte einfach schleifen oder glätten, um sie dann als fehlerfreie Gebilde dem allgemeinen Lyrikfundus zu überantworten. Alle bescheinigten dem sympathischen Autor Potenzial, auch wenn er an diesem Abend noch stark die „Klaviatur der Mutwilligkeiten“ (Andreas Heidtmann) bediente. Die Eindringlichkeit, mit der er manche grandios gedachte Fügung las, ließ sogar kurz den Verdacht aufkommen, hier werde den Anwesenden eine Parodie auf die Lyrik geboten. Doch dafür wiederum, so eine andere Jurystimme, seien die Gedichte eben „doch nicht kitschig genug“, mit anderen Worten: zu gut.
Der in München lebende Autor SAID gehört zu den namhaften Lyrikern, die zahlreiche Publikationen vorweisen können und sich als Schriftsteller seit langem einen Namen gemacht haben. Der Juror Wolfram Malte Fues zeigte sich beeindruckt von den Gedichten, die mit bewusster Sparsamkeit lyrische Räume öffneten und sich formal in eine große Tradition einreihten. Dass in diesen fast hermetischen Gebilden plötzlich der Komponist Sergei Wassiljewitsch Rachmaninow auftauchte – und zwar mit Vor- und Nachnamen! –, empfand der Juror als kleinen Makel, während andere Juroren die Hereinnahme solch surreal anmutender Elemente als ein Aufbrechen der starken Geschlossenheit sahen.
Mit schönem Understatement trug Dominik Dombrowski seine Gedichte vor. Einhellig bescheinigte ihm die Jury, dass sein Gedicht Serenade äußerst geglückt sei, womit es zu einer Art „Gedicht des Abends“ avancierte. Hier findet ein lakonischer Ton mit der Chronologie eines gemeinsamen Alterns auf selbstverständliche Weise zusammen. Vom Kennenlernen beim Swing „In the Mood“ bis hin zu Krankheit und Demenz zeichnet dieses lebensabendliche Stück eine alternde Liebe nach – ob der musikalische Begriff der Serenade die Tonlage des Gedichts trifft, mag dahingestellt sein, man hätte auch an eine Ballade denken können. Insgesamt gefiel der leise melancholische Sound in den Gedichten Dominik Dombrowskis, wobei andere Gedichte in ihrer Detailarbeit nach Meinung der Jury nicht an die Serenade heranreichten. Doch dieses Gedicht allein war sicher schon ein guter Grund, Dominik Dombrowski mit dem 2. Preis auszuzeichnen.
(…) Dass viele Zeilen von Ron Winkler nach Ron Winkler klangen – kein Einwand. Stärker wog das Argument, dass bei der ungebremsten Lust an kühner Bild- und Wortfindung manche Überdrehtheit drohte – bis hin zum (bewussten) Kalauer – und gelegentlich eine Verliebtheit ins eigene Können durchschien. Die Wendung „nimm den nächsten Papst zum Mars“ wurde moniert. Auf der anderen Seite Anerkennung für den inneren Zusammenhalt dieser Gedichte, die auf einmalige, intuitive und intelligente Weise Sprache formieren, montieren, neuerfinden, die mit viel Eleganz, mit gestreuten Alliteration, Assonanzen, ja, verschiedentlichen Anagrammierungen spielen, auch Gesellschaftskritik einbeziehen, ob nun sarkastisch oder nicht, wie in jenen Zeilen über die Stadt, „die eventuell nur ein Gewerbegebiet ist / mit sehr viel Wohnraum“. Oder auch: „Die Analyse zeigt, dass wir uns lieben.“ Frappierende Wirklichkeiten, die wie Absurditäten klingen. Oder umgekehrt. Ron Winkler erhielt den 1. Preis.
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