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Aus Jan Kuhlbrodts Besprechung des neuen Bandes von Charles Bernstein bei Signaturen:
Auf das Buch der Gruppe Versatorium hatte ich an dieser Stelle schon hingewiesen. Jetzt also ist (endlich) die umfangreiche Sammlung Angriff der schwierigen Gedichte der Gruppe um Norbert Lange im Wiesbadener Verlag luxbooks erschienen.
Charles Bernstein wurde 1950 in New York geboren. Er gehört zur Gruppe der L=A=N=G=U=A=G=E Poets, deren Zusammenhang eher in theoretischen Überlegungen, als in ihren lyrischen Produkten zu finden ist. Zentral ist die aktive Rolle des Lesers, der in der Rezeption den Text gewissermaßen erst hervorbringt und somit auch den Autor und dessen quasi natürliche Präsenz hinter dem Text verschwinden lässt. Zugespitzt formuliert wird das tradierte Verhältnis von Leser und Autor in einen dynamischen Prozess umgewandelt. Diese Position ist mir sehr nahe, nicht nur, weil damit dem Autor das Deutungsprivileg am eigenen Text abgesprochen wird.
Natürlich ergeben sich daraus für eine Übersetzung enorme Konsequenzen und die Frage der Texttreue stellt sich auf einer anderen Ebene neu. Was bedeutet das Original? Und worin besteht der Versuch, ihm nahezukommen. Während das Buch der Versatoriumgruppe dieses Problem versucht auf eine gewisse spielerische Art zu lösen, und dabei die Grenzen des Mediums erweitert und überschreitet, findet es hier einen rein literarischen, aber dabei nicht minder konsequenten Niederschlag. Der Leser (und damit auch der Übersetzer, der ja zunächst auch nichts anderes ist als Leser) trägt gewissermaßen seinen eigenen Referenzrahmen an das Gedicht heran, verwandelt es. Verwandelt es in eine andere Sprache zuweilen, aber immer in ein anderes Gedicht. Das bedeutet aber auch, dass der Leser während der Lektüre nicht in die Rolle des passiven Beobachters entlassen wird. Das ganze bleibt Prozess und das Gedicht verändert sich bei jeder Lektüre.
Charles Bernstein: Angriff der schwierigen Gedichte. Ausgewählte Gedichte. Zweisprachig. Aus dem Amerikanischen von Tobias Amslinger, Norbert Lange, Léonce W. Lupette und Mathias Traxler. Wiesbaden (luxbooks) 2014. 380 Seiten. 29,80 Euro.
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