98. Konkret machen

In Dichterforen* feiert er seine ewige Wiederkehr, der Streit zwischen verständlicher und unverständlicher Lyrik. Man könnte ihn mit einem Buchtitel des polnischen Poeten Tadeusz Rozewicz kommentieren: „Letztendlich ist die verständliche Lyrik unverständlich“. Oder die Debatten toben lassen und zu den Gedichten des Norwegers Olav H. Hauge greifen. Hauge, 1908 in Ulvik am Hardangerfjord geboren und 1994 dort gestorben, bewegt sich jenseits solcher Positionen.

In seinen Gedichten bezieht Hauge sich häufig auf die Mythen der „Edda“. „Die Tradition“, so vermerkt er in seinem Tagebuch, „ist ein starker Fluss, der die Baumstämme vieler tragen kann.

Es nützt nichts, das Holz auf der eigenen Pisse zu flößen, es kommt nicht weit.“ Aber Hauge sah auch, dass Formen sich erschöpfen. Er las viel (Quasimodo, Guillevic, Whitman, Hardy), übersetzte (Hölderlin, Trakl, Brecht und Celan), und obwohl er abgeschieden lebte, war er mit den geistigen Strömungen seiner Zeit vertraut. Was er an der modernen Lyrik nicht mochte, war ihre Hybris. Hauge störte es, dass das moderne Gedicht mit Bildern überfrachtet war**. Witzigerweise rief er in seinem Tagebuch ausgerechnet Aristoteles als Kronzeugen zu Hilfe, der davor gewarnt hatte, zu groß zu bauen, denn „eine Stadt soll nicht größer sein, als man von einem Hügelrücken aus überblicken kann“. Er zog daraus den Schluss: „Vereinfache, versuche den Kern zu fassen, es konkret zu machen.“ / Volker Sielaff, Tagesspiegel

Olav H. Hauge:
Gesammelte Gedichte.
Edition Rugerup, Hörby 2012.
336 Seiten, 24,90 €.

*) In Dichterforen? Hier möchte ich widersprechen. Das stimmt doch fast nur für die BELLAtriste-Debatte. Die schon ein paar Jahre zurückliegt. Alles andere, was in den letzten Jahren tönt, sind nicht wechselseitige Dichterfehden, sondern eine kleine Gruppe von Autoren – man kann kaum sagen einer Fraktion oder Richtung – verbreitet von Fall zu Fall via Agenturmeldungen, in Laudationes, Leserforen und Blogs übelgelaunte Angriffe auf von ihr akademisch und unverständlich genannte Autoren, die selten namentlich genannt werden.

**) Kennzeichnend für diese Pseudodebatten ist ja gerade, daß keine ästhetischen Argumente vorgebracht werden. Bild-Überfrachtung ist kein Merkmal einer bestimmten Richtung, sondern geht eher quer durch Scheinfronten. Es gibt „unverständliche“ Gedichte ganz ohne Bilder und mit Bildern überladene „verständliche“. Ach gäbe es doch Dichterfehden!

One Comment on “98. Konkret machen

  1. Fehde würde ich es auch nicht nennen, aber es ist doch eine Diskussion, die kein Ende zu finden scheint. Was mir dabei die viel entscheidendere Frage zu sein scheint: soll sich ein Lyriker auf seine Stimme, seinen Umgang mit Sprache konzentrieren oder die Antizipation der Rezeption zur höchsten Maxime werden lassen. Dabei steht als Vorannahme im Hintergrund, dass es nur „die eigene Pisse“ und den großen Traditionsfluss gibt und keinerlei Seitenarme oder die Kanalisation (underground?).

    Darüberhinaus gibt es in diesem Zugriff auf das Thema eine große Fehlannahme: Wenn ich mich nur verständlich genug ausdrücke, etwas konkret genug fasse, dann werde ich auch von allen verstanden. Man wäre doch bass erstaunt, wie viele Menschen sich einfach neben etwas stellen und sagen: „check ich nich“, statt sich ernsthaft und interessiert damit auseinanderzusetzen, etwas auf sich wirken zu l a s s e n. Die Frage, die sich für die Leserschaft stellt ist: Slow oder Fast Food fürs Hirn, was hätte ich lieber? Und umgekehrt für den Lyriker: was produziere ich lieber? Oder/und auch: Für wen?

    Erkennbar bleibt meines Erachtens, dass die offene Frage im Raum dadurch unerheblicher wird, dass es weiterhin leichter und weniger leicht zugängliche Lyrik gibt. Und dass beide Formen ihre Leserschaft finden. Das Sich-sperren einer Sprache gegen das Verstehen kann auch eine (vom Lyriker möglicherweise durchaus gewollte) Wirkung eines Gedichtes sein.

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