126. Mayröckers Zettelwirtschaft

Das Werk der Dichterin Friederike Mayröcker, die morgen Sonntag unglaublicherweise 85 Jahre alt wird, ist nicht allein den pulverigen Sandspuren von Deinzendorf entsprossen: jenem Ort im Bezirk Hollabrunn, dessen Fauna in „langsamen Blitzen“ die Bilderketten der Lyrikerin durchwirkt.

In Deinzendorf war Mayröcker noch ganz das behütete Kind: jene „Fritzi“, deren Zettelwirtschaft den Literaturbetrieb bis heute in ungläubiges Staunen versetzt. Kindheitslandschaften sind das Formularpapier, in das poetische Existenzen eingetragen werden. Mayröcker, deren Arbeit vegetabil erscheint – und somit gegen äußere Erschütterungen unempfindlich -, deren Texte in scheinbar organischem Wachstum aus Wortsprossen und Zitat-Keimen hervorgehen, hat die Fährnisse des Zeitverlusts endgültig überwunden.

Ihre fragilen, dennoch streng und gewissenhaft bearbeiteten Notate gleichen Explosionserscheinungen. Die Elemente der Sprache, durchaus schockhaft gegeneinander gesetzt, beginnen einander in lockeren Gebilden wechselseitig zu erhellen: „Ich bin so traurig jetzt und habe Angst vor dem / Verlassen dieser Welt die ich so sehr geliebt mit ihren Blüthen / Büschen Bäumen Monden mit ihren wunderbaren nächtlichen / Geschöpfen.“

Es wird gerne vergessen, dass Mayröcker während vieler Jahre die Existenz einer öffentlich wenig gelittenen Dichterin durchleiden musste, ehe sie zur Prima inter pares werden konnte. / Ronald Pohl, DER STANDARD 19.12.

Friederike Mayröcker schlägt mit ihrer obsessiven „Schreibdrangseligkeit“ dem Alter ein Schnippchen. Ihre Texte altern nicht. Vielleicht, weil sie immer aus Neu-Gier auf Welt entstanden sind; weil die Autorin jedem neuen Tag nachspürt, in Liebe und Leid, Verzückung und Demut. So stehen wir fassungslos vor ihrem Alter und freuen uns über das magische Junggebliebensein ihrer Arbeiten. / Walter G. Goes, Ostsee-Zeitung Rügen 19.12.

Die Presse-Umfrage zum 85. Geburtstag der großen österreichischen Schriftstellerin. Elfriede Jelinek, Evelyn Schlag, Peter Handke, Julian Schutting, Bodo Hell, Franz Josef Czernin, Kathrin Röggla, Andreas Okopenko, Andrea Winkler: Wer ist Friederike Mayröcker?

Interview der Presse vom 7.11.:

Frau Mayröcker, das letzte Mal haben wir uns zum Interview noch in Ihrer Wohnung getroffen. Gibt es dort noch das Taferl mit der Aufschrift „Tabu“, das die Räuber fernhalten soll?

Friederike Mayröcker: Ja, das Taferl gibt es noch. Aber in die Wohnung lasse ich niemanden mehr hinein. Alle Interviews, die ich jetzt gebe, gebe ich im Tirolerhof. Bei mir ist es viel zu voll, und das, obwohl ich noch eine Wohnung dazubekommen habe, die von Ernst Jandl. Aber dort schaut es mittlerweile genauso aus.

Vor zwölf Jahren haben Sie noch gesagt, Sie würden aufräumen, sobald Sie mit dem Buch fertig sind.

Das habe ich aufgegeben.

Bücher, Manuskripte, Notizen, Briefe: Haben Sie immer schon gesammelt?

Das ist kein Sammeln! Da sammelt sich vielmehr etwas an. Es ist wie in einer Fabrik oder einer Werkstätte. Was sich bei mir anhäuft, ist das Material, mit dem ich arbeite. Ich mache mir auch andauernd Notizen: Wenn ich unterwegs bin, schreibe ich auf kleine Zettel, wenn ich in meinem Bett liege, in ein A4-Heft. Das Material wird dann verarbeitet. Aber ich habe nie gesammelt: Ich flehe meine Freunde sogar an, mir ja nichts mitzubringen, mir auf keinen Fall etwas zu schenken!

Mehr zu Mayröckers Geburtstag: ND 19.12. (Gunnar Decker) / Wiener Zeitung / Die Presse 17.12. /

Die ORF-TV-Kulturredakteurin Katja Gasser widmet der Dichterin das Porträt „Rasen und Rotieren im Kopf“, das an Mayröckers Geburtstag (20. Dezember) um 9.55 Uhr in ORF 2 und bereits am Vorabend auf 3sat (19.20 Uhr) zu sehen ist.

Ö1 feiert die Jubilarin am 20. 12. (21.15 Uhr) mit einem Zusammenschnitt jener Festveranstaltung, die zu Mayröckers Ehren im RadioKulturhaus ausgerichtet wurde.
„Ö1 extra“: „Sprachgeschenke“

ORF Nachtbilder – Poesie und Musik
Scardanelli
Musik von Miles Davis
19. Dezember 2009
00:08 Uhr Mehr

„Tonspuren“: „Fritzi und ihre Fans“ (18. Dezember, 22.15 Uhr in Ö1)

„Rasen und Rotieren im Kopf“ (20. Dezember, 10.05 Uhr, ORF 2)

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