Wissenschaftlicher Witz

Die diesjährige Booker-Preisträgerin Jenny Erpenbeck kommt aus einer Schriftstellerfamilie. Ihre Mutter war die Arabisch-Übersetzerin Doris Kilian, ihr Vater der Physiker, Philosoph und Schriftsteller John Erpenbeck. Die Eltern ihres Vaters waren die Autoren Fritz Erpenbeck und Hedda Zinner. Ihr Vater John Erpenbeck hat außer zahlreichen wissenschaftlichen Publikationen auch Romane, Erzählungen und zwei Gedichtbände veröffentlicht. Letztere erschienen im Mitteldeutschen Verlag, der damals einer der führenden Lyrikverlage der DDR war (u.a. Volker Braun, Hanns Cibulka, Heinz Czechowski, Peter Gosse, Uwe Greßmann, Bernd Jentzsch, Georg Maurer und Karl Mickel).

Heute ein Gedicht aus dem Band „Formel Phantasie“ (1972). Man merkt ihm an, dass sein Verfasser Physiker ist – dem Band und dem Gedicht.

Der Kugelblitz

Welch ein wissenschaftlicher Witz:
ein Kugelblitz!
Man kann ihn für eine Laterne halten
mit entfaltetem Eigenleben,
für ein gewissenlos eitles Veilchen
mit violettem Eigenleuchten
oder für einen gestolperten Stern
mit einem freundlichen, lichten Gesicht.
Wir kennen seine Geheimnisse nicht.
Aber wir wüßten sie eben gern.
Energie in Kugeln zu zwängen
wäre dann kein Problem.
Wir könnten sie beispielsweise bequem
an den Weihnachtsbaum hängen.

Aus: John Erpenbeck, Formel Phantasie. Gedichte mit Illustrationen von Heidrun Hegewald. Halle (Saale): Mitteldeutscher Verlag, 1972, S. 6.

Illustration: KI

2 Comments on “Wissenschaftlicher Witz

  1. „Was für ein Humbug“, ruft in der taz der DDR-Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk angesichts dessen, dass Jenny Erpenbeck und ihre Fans sich die Tatsache, dass die eben mit dem International Booker Prize ausgezeichnete Schriftstellerin bislang keinen der drei großen deutschen Buchpreise erhalten hat, damit erklären, dass in den Jurys eben keine Ostdeutschen sitzen. Die Auszeichnungen für zahlreiche ostdeutsche Autorinnen und Autoren waren dann wohl ein Versehen? Auch ansonsten kommen in den öffentlichen Wortmeldungen der, wie Kowalczuk betont, in einer Funktionärsfamilie mit vielen Privilegien in der DDR aufgewachsenen Autorin „gleich mehrere Mythen zum Tragen, die in diesem systemtragenden Milieu bis heute wiedergekäut werden. … Bei ihr erscheint der Osten als Sehnsuchts- und Hoffnungsort, als Zukunftsverheißung, während der Westen als Gegenteil, als dumpf, hoffnungslos, oberflächlich, ganz und gar schrecklich vorkommt. Im Kontext der Ostdeutschlanddebatte bedient sie damit jene nostalgischen und antifreiheitlichen Gefühle, jene blödsinnige Ostdeutschtümelei, die historisch haltlos, politisch irrelevant sind, aber im Grunde einer Sehnsucht nach einem Gestern Platz geben, das auch durch die damit verbundenen Gefühle weder besser noch humaner wird: Mauer bleibt Mauer.“

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    • Gut, dass die taz mal den Amerikanern erklärt, dass es bei der von ihnen gefeierten Autorin bloß um „blödsinnige Ostdeutschtümelei“ geht. Das mit den Privilegien wird die taz schon gründlich recherchiert haben, aber „Funktionär“ war meines Wissens nur der Großvater. Der Vater war Physiker, Philosoph und Schriftsteller.

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