Kinderton

Ich wollte zum 145. Geburtstag von Hermann Hesse ein Gedicht aussuchen, es fiel mir schwer. Natürlich habe ich, als ich Gedichte zu lesen anfing, „Seltsam im Nebel zu wandern“ geliebt, es hat sich mit der Zeit entfremdet (entfreundet geht auch – der fremde Freund). Ich suchte ermüdend lange und wurde dabei immer ungnädiger. Immer derselbe Klingklang, Leben reimt auf Beben und Streben, lang auf bang, Herz auf Schmerz, tatsächlich, lesen auf Wesen, Schnee tut weh, Sterben in Scherben, Duft Luft, Nacht lacht, Welt fällt… alles erwartbar und immer dasselbe. Der Reim ist ein Element des Humors (schrieb, glaube ich, der Bulgare Atanas Daltschew) – hier ist er immer sehr ernst. Als der Reim erfunden wurde, muss es ungeheuer überraschend geklungen haben, dahin! Reim multipliziert mit seraphischen Worten, meine barsche Formel.

Schließlich blieb ich bei dem Kinderton kleben. Da gelingt ihm das Gedicht mit wenig Reim und ganz ohne Seraphsflügel.

Hermann Hesse 

(* 2. Juli 1877 in Calw; † 9. August 1962 in Montagnola, Schweiz)

Kleiner Knabe

Hat man mich gestraft,
Halt ich meinen Mund,
Weine mich in Schlaf,
Wache auf gesund.

Hat man mich gestraft,
Heißt man mich den Kleinen,
Will ich nicht mehr weinen,
Lache mich in Schlaf.

Große Leute sterben,
Onkel, Großpapa,
Aber ich, ich bleibe
Immer, immer da.

2 Comments on “Kinderton

  1. Hallo, ich finde, um Hermann Hesse wirklich zu verstehen und auch lesen zu können, bedarf es einer gewissen inneren Einkehr, ein wenig Selbsterkenntnis vielleicht. Sie werden mit diesem Text dem großen Dichter, Denker und Maler leider nicht gerecht. Warum so kritisch? Provokation? Diese Art Haltung gegenüber unseren klassischen Dichtern und Denkern scheint gerade on vogue zu sein. Oder ist es schon länger. Woher kommt das eigentlich? Zu viel Tiefgang ? Mit freundlichen Grüßen Stefanie Holder Schein, an deine Spiele Sieh mich willig hingegeben; Andre haben Zwecke, Ziele, Mir genügt es schon, zu leben.

    Gleichnis will mir alles scheinen, Was mir je die Sinne rührte, Des Unendlichen und Einen, Das ich stets lebendig spürte.

    Solche Bilderschrift zu lesen, Wird mir stets das Leben lohnen, Denn das Ewige, das Wesen, Weiß ich in mir selber wohnen.

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    • Natürlich kann man über alles streiten, gut so. Mir ging es bei der nächtlichen Hesselektüre ein bisschen gegen den Strich, dass jemand, der ein Jahrhundert mit 2 Weltkriegen, Krisen und einer mörderischen Dikatatur erlebt hat, das, wenn überhaupt, nur in der sehr allgemeinen „seraphischen“ Weise tut. Selbsterkenntnis und das Spirituelle suche ich lieber bei Goethes „Westöstlichem Divan“, bei Hafis, Rumi (letzteren nicht in der „amerikanisierten“ Form). „Holder Schein“, ja. Bei den Genannten lese ich eher, dass der Schein nicht immer nur hold, sondern auch mörderisch sein kann.

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