Judenwelsch

Das Celanjahr neigt sich, der 100. Geburtstag naht. Heute ein weiteres Gedicht.

Judenwelsch, nachts

Ich gab, ich gab - als Stein kommt es zurück.
Es schwirrt.
es trifft.

  Im Eiterlicht, im Angesicht
  der Mörder, Hände: Schlaft ihr nicht?

  Sie treffen. Sie trafen.
  Wir schlafen, wir schlafen.

  Und jene - die 'andern'?

  Wir schlafen, wir wandern.

(20.5.1961)

Aus: Paul Celan, Die Gedichte. Neue kommentierte Gesamtausgabe in einem Band. Hrsg. Barbara Wiedemann. (suhrkamp taschenbuch 5105). Berlin: Suhrkamp, 2020, S. 426
(Pariser Gedichtnachlaß 1948-1970, Zeitraum Niemandsrose)

Zwei Anmerkungen nach dem zitierten Band:

„Eiterlicht“: In der aktuellen „Zeit“ vom 19. Mai hatte Celan eine Rezension von Marcel Reich-Ranicki zu einem Buch von Walter Jens gelesen. Jens geht darin auf Celans Gedicht Matière de Bretagne (aus Sprachgitter) ein, dessen Anfang lautet: Ginsterlicht, gelb, die Hänge / eitern gen Himmel. Der eingerückte Teil des Gedichts bezieht sich u.a. auf Matière de Bretagne, die Hände und schlafen werden von dort übernommen. Jens geht in dem besprochenen Buch auf das Gedicht ein und weist darauf hin, dass „matière“ nicht nur Geschichte und Fabel bedeutet, sondern auch Eiter. Celan schrieb sofort einen Brief an Jens, in dem er sich bedankt, dass Jens (und nicht ihm) die Synonymie von matière und Eiter aufgefallen sei. – In der FAZ vom 20. Mai war Ingeborg Bachmanns Erzählung Undine geht abgedruckt. Die Beziehung von Mörder, Hände und anders als die andern geht in sein Gedicht ein.
(Sicher, der Leser muss das nicht alles wissen und bemerken. Aber dafür gibt es ja kommentierte Ausgaben: im Einzelfall bremst die Kenntnis der Entstehungsumstände vielleicht allzu freischwebend spekulierende Interpretationen aus. Interpretieren kann man immer noch: später.)

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