Und die dritte

Georg Heym

(* 30. Oktober 1887 in Hirschberg, Schlesien; † 16. Januar 1912 in Gatow)

Die Schläfer

Es schattet dunkler noch des Wassers Schoß.
Tief unten brennt ein Licht, ein rotes Mal
Am schwarzen Haupt der Nacht, wo bodenlos
Die Tiefe sinkt. Doch auf dem dunklen Tal

Mit grünem Fittich auf der dunklen Flut
Flattert der Schlaf, den Schnabel dunkelrot,
Drin eine Lilie welkt, der Nacht Salut.
Den Kopf von einem Greise, gelb und tot.

Er schüttelt seine Federn wie ein Pfau.
Die Träume wandern wie ein lila Hauch
Von seinen Schwingen, wie ein blasser Tau.
Er taucht hinab in ihrer Wolke Rauch.

Die großen Bäume wandern durch die Nacht
Mit langem Schatten, der hinüber läuft
Ins weiße Herz der Schläfer, die bewacht
Am Ufer kalt der Mond, der Gifte träuft

Wie ein erfahrener Arzt tief in ihr Blut.
Sie liegen, fremd einander, stumm, im Haß
Der dunklen Träume, in verborgner Wut.
Und ihre Stirn wird von den Giften blaß:

Der Baum von Schatten klammert um ihr Herz
Und senkt die Wurzeln ein. Er steigt empor
Und saugt sie aus. Sie stöhnen auf vor Schmerz.
Er ragt herauf, am Turm der Nacht, am Tor

Der blinden Stille. In die Zweige fliegt
Der Schlaf. Und seine kalte Schwinge streift
Die schwere Nacht, die auf den Schläfern liegt
Und ihren Mund mit Qualen weiß bereift.

Er singt: Ein Ton von krankem Violett
Stößt in den Raum. Der Tod geht. Manches Haar
Streicht er zurück. Ein Kreuz, Asche und Fett,
So malt er seine Frucht im späten Jahr.

Aus: Die Aktion 1, 1911, Sp. 18f

Diese Fassung weist viele meist kleinere Abweichungen in Zeichensetzung und Wortlaut aus. Hier einige Abweichungen:

Str. 1 V. 3: statt Haupt: Leib der Nacht
Str. 3 V. 4: In ihre Wolke taucht er, in den Rauch.
Str. 4 V. 4: Der kalte Mond, der seine Gifte träuft
Letzte Str. V. 2: statt in: an den Raum; V. 4: welken statt späten
Außerdem bekommt das Gedicht die Widmung: Jakob van Hoddis gewidmet.

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