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Die Mutter aller Liebesdichtung, die älteste Individuallyrik der Welt. Diese altägyptischen Gedichte wurden seit der 19. Dynastie (1320-1200 v.u.Z.) auf Papyrus oder Kalkstein aufgezeichnet. Sicher existierten sie da schon Jahrhunderte in mündlicher Überlieferung. Die ersten haben keine Vorbilder, sie müssen alles selber erfinden.
Der Granatbaum redet: "Meine Kerne sind wie ihre Zähne. Meine Früchte sind schön wie ihre Brüste. Meine Dauerhaftigkeit ist größer als die der anderen Bäume des Parks. Ich bin immer da. Dort tun es die Schwester und ihr Bruder. Sie ruhen unter meinen Zweigen. Sie sind trunken vom Wein und Most, durchtränkt von Öl und Salbe. Alle Bäume vergehen bis auf mich in meinem Feld. Ich verbringe zwölf Monate, Die anderen sterben, ich bleibe stehen. Fällt auch eine Blüte herab, neu löst sich eine Knospe aus mir. Ich, ich bin der Erste der Bäume. Aber man sieht mich als den zweiten an. Wenn wiederholt wird, was da getan wurde, aufs neue, werde ich nicht mehr schweigen ihretwegen. Ich werde sagen, was sie tun. Das Schlimme wird entdeckt, und die Liebende wird bestraft: Nicht mehr wird sie ihren Strauß wiederfinden von Lotosblüten und Knospen." "Mädchen, gib Opfergaben von Lotosknospen, Öl und Bier in der Art aller Leute. Der Baum wird dich einen schönen Tag verbringen lassen. Ein Pavillon von Rohr ist an geschützter Stelle –" "Sieh, der Baum, er hat sich aufgerichtet, wirklich. Laß uns ihm schmeicheln! Sieh zu, daß er den ganzen Tag verbringt, freundlich, und daß er seinen Schutz gewährt!"
Aus: Liebe sagen. Lyrik aus dem ägyptischen Altertum. Hrsg. Hannelore Kischkewitz. Leipzig: Reclam, 1973, S. 51-53
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