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Veröffentlicht am 12. Dezember 2017 von lyrikzeitung
Elvio Romero (1926-2004)
SPÄT
Jemand erzählt mir etwas
aus meinem Land, erinnert mich an seinen Regen,
seine unbegreifliche Verlassenheit, formt
Worte und Worte, Honig und Sprache, rein,
meines Landes.
Und dennoch, die Stunde ist vorgerückt.
Jemand spricht zu mir .
von einem glänzenden Vergehen, vom Vergehen der Sonne,
die ein Mädchen im Sand verbrennt,
im vollsten Licht, und sie selbst ist es, die
mir jetzt zulächelt, das Antlitz der Sonne zugewandt.
Und dennoch, die Stunde ist vorgerückt.
Und dennoch, die Stunde ist vorgerückt für mich.
Deutsch von Fritz Rudolf Fries
Aus: Poesiealbum 62. Elvío* Romero. Berlin: Neues Leben, 1972
Der paraguayische Dichter wurde am 12. Dezember 1926 in Yegros (Paraguay) geboren; er starb am 19. Mai 2004 in Buenos Aires. 1947 emigrierte er nach Argentinien. Nach dem Sturz des Diktators Alfredo Stroessner wurde er Mitglied der Academia Paraguaya de la Lengua Española und des paraguayischen PEN-Clubs und Diplomat in der paraguayischen Botschaft in Buenos Aires.
*) Der Name heißt korrekt Elvio (nicht Elvío), das ist ein Fehler in dem sonst überaus schätzenswerten Poesiealbum von 1972 (danke an die aufmerksamen Augen, die mich darauf aufmerksam machen!)
Kategorie: Paraguay, SpanischSchlagworte: Elvío Romero, Fritz Rudolf Fries, L&Poe-Anthologie
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bei aller hochachtung vor dem poesiealbum und fritz rudolf fries: die deutsche version scheint mir etwas an mancher stelle hinterfragbar. hier das original (seite 171 des zweiten bandes der sämtlichen gedichte, im netz nachschlagbar unter https://www.scribd.com/document/73376316/Poesias-Completas-Tomo-II-Elvio-Romero-Paraguay-PortalGuarani):
Tardío
Alguien me cuenta cosas
de mi país, me recuerda sus lluvias,
su inabarcable abandono, pronuncia
palabras y palabras, miel y lenguaje puros
de mi país.
Y sin embargo, es tarde.
Alguien me habla
de un radiante delito, del delito del sol
quemando a una muchacha en la arena
a pleno sol y es ella misma quien me sonríe ahora
con el rostro hacia el sol.
Y sin embargo, es tarde para mí.
»Tardío« und »tarde« hängen lexikalisch und sichtbar zusammen. warum dann das umständliche »Die Stunde ist vorgerückt«, das noch dazu auf die tageszeit fokussiert (während es wohl eher um ein »zu spät« geht, da die tageszeit durch die scheinende sonne gar nicht so fortgerückt ist)? kann ich nicht ganz nachvollziehen.
auch hätte ich statt »Vergehen« das stärkere und dem spanischen »delito« entsprechende wort »Straftat« verwendet (dadurch vermeidet man die ungewollte zweideutigkeit »vom Vergehen der Sonne«, die wie ein kalauer klingt). und warum nicht »strahlend« für »radiante«? ist zwar nur eine kleinigkeit, aber erstens bleibt die korrespondenz radius/Strahl erhalten, vor allem aber auch die konnotation »strahlend« = ›freudig-stolz‹, die im spanischen ganz genauso funktioniert.
vor kurzem kam auf facebook eine kurze diskussion auf über die übertragung eines gedichts von beckett durch eva hesse. auch da war manches befremdlich, und wir kommentierenden kamen überein, dass wohl der zeitgeist eigenwilligen nachpoetisierungen vorschub geleistet hatte. das ist hier offenbar auch ein wenig der fall.
damit will ich den repekt vor den großen erschließerinnen und erschließern der weltpoesie für das deutsche nicht schmälern. nur darauf hinweisen, dass manchmal die schlichtheit des originals in der übertragung ein wenig gelitten hat.
hier versuchsweise eine alternative:
Spät
Jemand erzählt mir Sachen
aus meinem Land, erinnert mich an seinen Regen,
seine unermessliche Verlassenheit, spricht
Wörter und Wörter aus, reinen Honig und reine Sprache
aus meinem Land.
Und trotzdem ist es spät.
Jemand redet mit mir
von einer strahlenden Straftat, der Straftat der Sonne,
die eine junge Frau im Sand verbrennt
bei praller Sonne, und sie selbst ist es, die mich jetzt anlächelt
mit dem Gesicht zur Sonne.
Und trotzdem ist es spät für mich.
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