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Jetzt hat ein neues Interesse an den ästhetischen Zumutungen des radikalen Kritikers und umstürzlerischen Traditionalisten Pasolini eingesetzt. In der aktuellen Ausgabe, der Nummer 74 der Literaturzeitschrift Schreibheft hat die Übersetzerin Theresia Prammer ein aufregendes Dossier über Pasolini zusammengestellt, das vor allem den kaum mehr sichtbaren Spuren des Gedichteschreibers Pasolini und dessen poetischen Metamorphosen folgt. In kleinen Ausschnitten aus bislang unübersetzten Gedichtbüchern, in Tagebuchnotizen und Essays und Werkkommentaren über Pasolini wird die kurvenreich verlaufene Entwicklung des Schriftstellers rekonstruiert. Im Jahr 1942, als der Zwanzigjährige noch in der Zeitschrift einer faschistischen Jugendorganisation publiziert, beginnt Pasolini Gedichte im friulanischen Dialekt seiner Mutter zu schreiben. Das war insofern eine subtile Provokation, als während der Herrschaft Mussolinis Dialektdichtung als unerwünscht galt. Pasolini träumt aber vom Entwurf einer politisch unschuldigen Sprache, hervorgegangen gleichsam aus dem Mutterleib. Gedichte in Friulanisch: Das war der Traum einer Sprache, die nicht das bürgerliche Hochitalienisch des Faschismus sein sollte. Mit seinen Gedichten entfernte sich Pasolini im Lauf der Jahre immer weiter von einer konventionellen Metaphorik, hin zu einer immer drastischeren Idiomatik, mit der er sich von einem falschen Traditionsglauben distanzierte. Im radikalen Subjektivismus seiner späten Verse stößt er sich endgültig ab von jeder romantisch-lyrischen Gestik und redet Klartext. …
Eine kleine Erkundungsreise in Pasolinis Dialektgedichte unternimmt auch das Jubiläumsheft, die Nummer 50 der Leipziger Literaturzeitschrift EDIT. Hier wird ein ursprünglich in Friulanisch geschriebenes Mysterienspiel Pasolinis abgedruckt, das den Dialekt zur Sprache des Paradieses erhebt. Das Friulanische soll zugleich Sprache des Eros sein und ein sinnliches Zeichen gegen den Übergang der agrarischen Ordnung in ein neues globales System der Massenkultur. Die eigentliche Sensation liegt hier in der Art und Weise der Übersetzung. Denn Christian Filips, der Pasolini-Übersetzer, wählt nicht das Neuhochdeutsche als Zielsprache, sondern überträgt die Verse Pasolinis in ein spätes Mittelhochdeutsch, die Fremdheit des Dialektes noch in der Übersetzung bewahren will. Die komplette Buchversion dieser Pasolini-Übersetzung erscheint übrigens im hoch gefährdeten Verlag des Basler Lyrik-Pioniers Urs Engeler. …
Gegen […] poetische Leichtfertigkeit mobilisiert die von Michael Speier herausgegebene Lyrikzeitschrift PARK seit nunmehr 34 Jahren ihren traditionsbewussten Eigensinn und zugleich ihr vitales Interesse an neuen unverbrauchten Ausdrucksformen. Im neuen PARK, dem Heft Nummer 63, sind wunderbar geschliffene Bemerkungen Gerhard Falkners zum Werk einiger Dichterkollegen zu lesen, eine philologische Feinmechanik ersten Ranges. / Michael Braun, Poetenladen 20.10.
Schreibheft 73
Nieberdingstr. 18, 45147 Essen. 224 S., 12 Euro.
Edit 50
Gerichtsweg 28, 04103 Leipzig. 94 S., 5 Euro.
Park 63
Tile-Wardenberg-Str. 18, 10555 Berlin, 112 S., 7 Euro.
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