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Andreas Heidtmann schreibt im Poetenladen über den Lyrikpreis München, Auszüge:
Das Feld der Finalisten war stark. Vielleicht reichte das Niveau an den Leonce-und Lena-Wettbewerb heran. Ein Indiz dafür wäre, dass eine Reihe von Darmstädter Finalisten in diesem und in den vergangenen Jahren auch beim Lyrikpreis München lasen, etwa Alexander Gumz, Sascha Kokot, Walter Fabian Schmid und Marie T. Martin. Und umgekehrt las die Lyrikerin Sina Klein zuerst in München, ehe sie nach Darmstadt eingeladen wurde. Dass die teilnehmenden Open-Mike-Lyrikpreisträger ohne Chance waren, zeugt nicht von schwachen Beiträgen, sondern von der Stärke der dichterischen Konkurrenz. (…)
Viel Zustimmung fand Kerstin Becker mit ihren ländlichen Szenen, die bäuerliches Kolorit einbanden, das Ernten von Kartoffeln (Erdäpfeln), das Verstecken in Milchtonnen, das Spielen am Bach. Dass die Autorin das Ländliche so selbstbewusst aufgriff, trug ihr viel Sympathie ein, zumal sie jedes Sentiment vermied. Das Zerlegen von Ratten mit Rasierklingen oder das Ausnehmen eines Karpfens wirkte dem Idyllischen entgegen. (…)
Odile Kennels Texte waren vielleicht die avanciertesten des Abends, postpostmodern, souverän alle erdenklichen Verfahrensweisen nutzend, kurze Formen wechselten mit langen, Reim und Wortwitz, Speedgedichte und sogar wörtliche Rede kamen vor, alles an Bord, aber bei so viel kunstvollem Zauber durfte man am Ende auch die Frage stellen – wozu das alles? Egal, einen Preis hatte sie sich verdient. (…)
Birgit Kreipe hatte bereits im ersten Wahldurchgang die Mehrheit der Jury hinter sich. Ihr gelang mit dem Zyklus „nachts rücken die scheunen zusammen, werden zahm“ ein eigener poetischer Kosmos, in dem sie traumhafte, narrative und surreale Elemente verwob. Auch sprachlich waren ihre Gedichte souverän von der Alliteration bis zu hart kontrastierenden Elementen. Einer Überpoetisierung wirkte sie kühn mit Alltagswendungen, ja, Vulgarismen, entgegen wie etwa am Ende des sechsten Gedichts, wo zunächst mit „Marshmallowknochen“ und „Vanilleschiffen“ eine gewisse klangliche Anmut aufkommt, ehe es unvermittelt heißt: „fettsau wir hassen dich.“
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