49. Fehde

Aus der Rivalität zweier Literaten am herzoglichen Hofe, Gaspare Mùrtola (1570-1624) und Giambattista Marino (1569-1625), entwickelte sich eine Fehde, die mit Sonetten begann und mit einem mörderischen Showdown endete. Die Texte dieses Versduells, gleich bemerkenswert durch ihre Angriffslust, ihre Obszönität, ihre bizarre Phantasie und die einzigartige technische Bravour des einen der beiden Kontrahenten, waren im 17. Jahrhundert in nicht weniger als acht gedruckten Ausgaben verbreitet, darunter sieben Raubdrucke. Ihnen zur Seite stehen autobiographische Zeugnisse, die zu den glänzendsten Seiten der italienischen Briefliteratur gehören.

(Aus der Einleitung)

Ausgemacht [ist], daß niemahls ein Dichter gebohren worden, dem die Natur ihre wunderbaren Gaben reichlicher mitgetheilet. Niemand hat je eine so unglaubliche Fähigkeit zur Dicht-Kunst, niemand mehr lebhafftes, scharffsinniges und annehmliches zugleich besessen. Daher man ihn billig an Erfindung dem Ariosti, an Majestät dem Tasso, an Kürtze aber sich selbst nur gleich geschätzt. Er war in der Tat ein Glantz der Welschen Wolredenheit, er wußte durch seine geistreiche Einfälle die Gemüther mit wundersamen Reitzungen einzunehmen, weil er sowohl in schertz- als ernsthafften Gedichten vollkommen glücklich gewesen. Kurtz, er erwarb besonders durch seine Lyrische Schreib-Art nicht minder Ruhm als Anacreon, und an Menge selbstverfertigter Schrifften haben es ihm wenige gleich oder zuvor gethan.

(Barthold Hinrich Brockes)

Mit Erlaubnis des Verlages hier und in der folgenden Nachricht je ein Gedicht der Kontrahenten.

Giambattista Marino, La Murtoleïde,
Fischiata No. 17

Soletto e sequestrato da le genti,
Di gravosi pensieri onusto e carco
L´altra mattina il Mùrtola sul parco1
Già poetando a tardi passi e lenti,

E con certi atti e certi svenimento,
E con un ceffo acconcio a far san Marco,
Stringea le labbra e torcea gli occhi in arco
Da spiritar il cielo e gli elementi.

Io, che osservavo le scempiezze sue,
Gli tenni dietro e ritrovai stampate,
L`orme sopra l´arena, a due e due.

Onde a cose sì nuove e disusate
Trasecolai e non credea che un bue
Potesse far umane le pedate.

Auspfiff Nr. 17

Allein und ferne vom Getriebe* / Von gewichtigen Gedanken schwer und beladen, / [Wanderte] gestern morgen Mùrtola über den Park,** / Bereits beim Dichten, mit langsamen und schleppenden Schritten.

Und mit einer Art von Gehampel und ekstatischem Getue / Nebst einer Miene, wie gemacht, den heiligen Markus zu mimen,*** / Verzog er die Lippen und rollte die Augen, / Um Himmel und Elementen den Geist der Poesie einzuhauchen.

Ich, Zeuge seiner halbverrückten Launen, / Hielt mich gleich hinter
ihm und fand dem Sande / Paarweise seine Tritte eingeprägt,

Weshalb ich, angesichts so neuer und ungewohnter Dinge, / Erstaunte
und nicht glauben wollte, ein Ochse / Vermöchte Spuren ganz wie ein Mensch zu hinterlassen.

*) Eine Anspielung auf das berühmte 35. Sonett des Canzoniere oder „Liederbuchs” von Francesco Petrarca (1304-1374): Solo e pensoso i più deserti campi, „Allein und in Gedanken, durch verlassenste Gefilde…“
**) Am Ufer des Pos befand sich in einiger Entfernung von der Residenz ein ausgedehnter herzoglicher Park mit einer Menagerie, der Schauplatz einiger Gedichte der Murtoleïde ist.
***) Sankt Markus: der Evangelist

Aus: Giambattista Marino, Gaspare Mùrtola; Episteln und Pistolen
Leipzig: Reinecke & Voß, 1. Auflage 2013 (S. 23)
19x12cm. 9 Euro
ISBN 978-3-942901-08-6

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