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Eva Strittmatter
(* 8. Februar 1930 in Neuruppin; † 3. Januar 2011 in Berlin)
Sie war schon 43, als ihr erster Gedichtband erschien. Er kam mit dem Geruch des lange Verbotenen oder wenigstens Zurückgehaltenen. Ich las ihn damals gleich und mehrmals. Obwohl ich vor allem bei den nachfolgenden Büchern mehr und mehr Distanz empfand, sind mir Verse aus dem ersten Band hängengeblieben. „Rotdorn meiner Kinderjahre“, das fällt mir tatsächlich jeden Mai ein, wenn der Rotdorn blüht. „Ich war ganz anders entworfen / Hab einst Ästhetik studiert / Komisch, wie leicht man im Leben, / Was man nicht braucht, verliert.“ – „Meine Verse sind gestohlen. Und mein Leben ist geborgt.“ – „Alles kann man, was man will. Und man kann die Welt besiegen. Wenn man eine Liebe hat, kann man über Witebsk fliegen. – „Wir alle haben viel verloren / Täusche dich nicht, auch ich und du / Weltoffen wurden wir geboren / Jetzt halten wir die Augen zu“.
Mit der Zeit nervte sie mich zunehmend, und im ersten Band gibt es schon auch diesen nervenden Ton, ich erinnere mich nicht, ob ich ihn beim ersten Lesen schon empfand, ein paar Stellen sind angestrichen, aber das kann auch von (zwei, drei Jahre) später sein. Aber wenn Zeilen hängenbleiben, wird schon was dran sein. Heute zum Geburtstag ein Gedicht aus dem ersten Band mit dem (eher niedlich-biedermeiernden) Titel „Ich mach ein Lied aus Stille“. Also der Band – das Gedicht heißt „Ich“. Auch in diesem Gedicht stört mich etwas, vor allem der Schluss, der für mein Gefühl die selbstkritische Stelle mit der Ästhetik (sie war mal eine dogmatische Kritikerin) ins allgemein Gefühlige zieht – aber man kann es ja mal lesen.
Ich Noch hab ich nicht begonnen. Noch arbeite ich ab, Was ich mir im ersten Leben Aufgelastet hab. Noch gehn meine Gedanken Nur selten aus dem Haus. Bin wie die alten Landfraun. (Die zogen die Schürze nie aus.) Noch sind meine Worte simpel. Von Sorge und Liebe schwer. Noch fehlt ihnen das Leichte. In Holzschuhn kommen sie her. Ich lebe wie meine Mütter, Die Häuslerinnen, gelebt. (Nur kannten sie keine Bücher Und haben gestrickt und gewebt.) Ich war ganz anders entworfen. Hab einst Ästhetik studiert. (Komisch: wie leicht man im Leben, Was man nicht braucht, verliert.) Lebt man bei Bächen und Bäumen, Wohnt zwischen Wurzel und Wind, Verlangt man selbst von den Träumen, Daß sie faßbar sind.
Aus: Eva Strittmatter, Ich mach ein Lied aus Stille. Berlin und Weimar: 1973, S. 14
ein webig war sie auch, zumindest für mich und leute in meiner umgebung, etwas wie ein türöffner in die lyrik.
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