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Charles Baudelaire
(* 9. April 1821 in Paris; † 31. August 1867 ebenda)
Zum Jubiläum ein Gedicht aus den „Neuen Blumen des Bösen im Original und in mehreren deutschen Fassungen.
LE COUCHER DU SOLEIL ROMANTIQUE
Que le Soleil est beau quand tout frais il se lève,
Come une explosion nous lançant son bonjour!
– Bienheureux celui-là qui peut avec amour
Saluer son coucher plus glorieux qu’un rêve!
Je me souviens!… Pai vu tout, fleur, source, sillon,
Se pâmer sous son œil comme un cœur qui palpite …
– Courons vers l’horizon, il est tard, courons vite,
Pour attraper au moins un oblique rayon!
Mais je poursuis en vain le Dieu qui se retire;
L’irrésistible Nuit établit son empire,
Noire, humide, funeste et pleine de frissons;
Une odeur de tombeau dans les ténèbres nage.
Et mon pied peureux froisse, au bord du marécage,
Des crapauds imprévus et de froids limaçons.
Stefan George
DER UNTERGANG DER ROMANTISCHEN SONNE
Wie schön ist doch die frisch erwachte sonne!
Mit flammenausbruch wünscht sie frohen tag.
Glückselig wer in liebe grüssen mag
Auch ihren untergang · ein traum an wonne!
Ich weiss noch … alles: blumen quelle thal
Vor ihr erstanden wie ein herz das hämmert ..
Zum horizont! auf! eilen wir! es dämmert ·
Lasst uns noch haschen einen schiefen strahl!
Jedoch umsonst – die Göttin niedergleitet ·
Unwiderstehlich sich die nacht verbreitet
Schwarz feucht verhängnisvoll und schreckenreich.
Es scheint als ob ein grabhauch auf ihr laste
Und ängstlich stösst mein fuss an dem moraste
Versteckte kröten schnecken kalt und weich.
Aus: Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen. Umdichtungen von Stefan George. Berlin: Bondi, 1922, S. 118
Carl Fischer
DER UNTERGANG DER ROMANTISCHEN SONNE
Wie ist die Sonne schon, steigt sie in keusche Räume!
Mit flammender Gewalt bringt sie uns frohen Gruß!
— Wie glücklich, wer dereinst auch jene lieben muß,
Die ruhmreich untergeht und herrlicher als Träume!
Und ich erinnre mich… wie Blumen, Quelle, Tal
Vor ihren Blicken als ein schlagend Herz sich breiten…
— Doch auf zum Horizont! Kommt schnell! im Niedergleiten
Erhaschen wir vielleicht noch einen schrägen Strahl.
Allein umsonst folg ich der Göttin, die verzichtet:
Unwiderstehlich nun die Nacht ihr Reich errichtet,
Schwarz, feucht und kalt hat mich ihr Schauder angerührt;
Ein Grabeshauch weht durch die trägen Finsternisse,
In dem Morast gerät mein Fuß ins Ungewisse,
Wo er die Kröten und die kalten Schnecken spürt.
Aus: Charles Baudelaire, Die Blumen der Verworfenheit. Deutsch und Französisch. Nachdichtungen von Carl Fischer. Söcking: Bachmair, 1949, S. 265
Friedhelm Kemp
DER UNTERGANG DER ROMANTISCHEN SONNE
Wie schön die Sonne ist, wenn sie ganz frisch sich hebt und wie in einem Bersten ihren Morgengruß uns zuwirft! – Glückselig, wer in Liebe sie grüßen kann, wenn sie glorreicher als ein Traum im Glanze sinkt!
Ich erinnre mich! … Blume, Quelle, Furche, alles sah ich unter ihrem Auge sich regen wie ein schlagendes Herz … – Laßt uns zum Rand der Erde laufen, es ist spät, rasch, laßt uns eilen, um wenigstens noch einen schrägen Strahl zu erhaschen!
Doch umsonst verfolge ich den Gott, der uns entweicht; unwiderstehlich breitet die Nacht ihre Herrschaft aus, schwarz, feucht, unheimlich und schaudervoll;
Ein Grabeshauch schwimmt in den Finsternissen, und unversehens tritt mein scheuer Fuß am Rand des Sumpfes auf Kröten und auf kalte Schnecken*.
Aus: Charles Baudelaire, Nouvelle Fleurs du Mal. Neue Blumen des Bösen. Materialien (Sämtliche Werke / Briefe in acht Bänden, Bd. 4) Hrsg. Friedhelm Kemp u. Claude Pichois. München: Heimeran, 1975, S. 7
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