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Hadayatullah Hübsch
(* 8. Januar 1946 in Chemnitz als Paul-Gerhard Hübsch; † 4. Januar 2011 in Frankfurt am Main – 10. Todestag und vier Tage vor dem 75. Geburtstag)
Die Entdeckung Afrikas
Die Entdeckung Afrikas war in der Sonne,
Als ich noch zu jung war, sie
Lag nackt auf dem Schnee des Kilimandscharos.
Die spiegelte sich im Nil, während
Ein Krokodil träge in das graue Wasser
Des Fotos starrte.
Sie war ein Mythos so groß wie die Haut.
In der Palme die Äffchen.
In der Kokosnuß die Milch.
Äquator.
Die Gieraffee im Sanella-Sammelalbum in
Verwaschenen, stumpfen Farben,
Die Fant Eie,
Die Fee Af,
Waren da nicht auch noch ein paar
Buschmänner mit Pfeilen und Bogen, mit
Langen Messern? Und
Wilde Frauen mit kaum Haar und sehr großen
Ohrringen und Fallbrüsten und einer
Schnur um den Bauch, an den sich
Winzige Babys klammerten?
Ich glaube, es war das Weiße auf dem Berg und
In den Augen und auf der Landkarte,
In dessen undurchdringlicher Mitte sich
Dr. Livingstone mit wem auch immer zufällig
Traf,
Irgendeine Quelle und Liane
Das Mädchen aus dem Urwald, das ein Bananen-
Röckchen trug mit nichts als Josephine
Baker darunter.
Irgendwann kam dann der Kongo dran.
Die Elfenbeinküste lag links.
Weit gegenüber eine Pyramide und ein Kamel,
Vermutlich trank es Wasser aus einem
Schlammigen Timbuktu-Karnevals-Tümpel,
Während nachts in Lambarene Albert Schweitzer
Vor seiner Orgel saß und nicht schlief
Aus Sorge um seine schwarzen Kinder.
Die Buren hatte ich schon fast vergessen.
Aber dass Sahara mit langem a in der Mitte
In Wirklichkeit Köfferchen heißt, nicht.
Eine Zeitlang habe ich versucht,
Sahara richtig zu betonen, mit kurzem ersten a,
Als hätte man keine Halsentzündung dem
Kinderarzt zu verheimlichen,
Aber der Nachrichtensprecher im Fernsehen
War dagegen.
Was also kann ein armer Junge dann anderes tun,
Als abwechselnd Sklave und Sklavenhändler
Zu spielen? Die Entdeckung
Afrikas lag irgendwann in der Zukunft,
Ich wüßte nicht, wer sie einholen könnte,
Wenn nicht jemand, der aussieht wie
Ananas.
Aus: Hadayatullah Hübsch: Eurobeat. Gedichte. Hannover: edition roadhouse, 2004, S. 18f
Ich hatte im Rahmen meines „Arbeitsbuches Deutschsprachige Prosa seit 1945“ 2005 Kontakt zu Hatayatullah Hübsch. In Erinerung sind mir seine melancholische Stimme und die unkonventionelle Art, Gespräche zu führen. Er passte in keine Schublade und ging konsequent eigene Wege. Schade, dass solche Typen selten (geworden) sind.
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Einen Nachruf von Theo Breuer auf den Urvater des Social-Beat finden Sie auf KUNO http://www.editiondaslabor.de/blog/2012/03/07/hubsch-revisited/
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