72. Zu Klavki

Von Bertram Reinecke

Siehe L&Poe 2011 Dez #57. Wolkenhändler

Wenn hier mein Name in die Nähe des typischen ignoranten Klavkilesers gerückt wird, dann möchte ich wenigstens, keineswegs ein Klavkikenner, aus meiner Sicht meine Lesehindernisse benennen, die Frage „Was macht, dass er anders liest als ich“ beantworten: „außerdem verbiete ich Menschen vor mir Worte wie ‚Mehlschwitze‘ zu verwenden“ heißt es bei Klavki, und so klingen Klavkis Texte für mich. Oft scheint mir bei Klavki ein untriviales Leben abgegrenzt von einem trivialen, das andere Leute führen. Offensichtlich kann man ihm zu Gute halten, dass er dieses Leben auch authentisch zu verkörpern vermochte, oder besser gesagt: Es gelang ihm, glaubt man seinen Fans, eine konsistente Selbstinszinierung in diese Richtung herzustellen.

Wenn ich in einer weniger günstigen Position nur als Leser nach Signaturen für Glaubwürdigkeit suche, dann werde ich nicht recht fündig. (Wohlgemerkt: Diese Glaubwürdigkeit ist wie das Verbot, Leben in wichtige und unwichtige einzuteilen, zunächst mein Wert und auch eher ein moralpolitischer als ein literarischer.) Der Eindruck von Tiefe und Bedeutsamkeit scheint mir bei Klavki durch Auswahloperationen zu Stande zu kommen: Bedeutende oder in sich bereits interessante Gegenstände werden mit entsprechendem Schmuck behandelt. (Ähnliches kritisiert Czernin auch an Grünbein 1995 im Schreibheft.) Ein resonantes Vokabular tritt hinzu. Das ganze ist oft zugespitzt zu allgemeinen, weitere Gegenstandsbereiche umgreifenden Sentenzen. Die klingen tief. Man kann ihnen zustimmen, aber man weiß noch nicht genau was sie heißen. Wer sie bestritte, ihnen also eine konkrete Interpretation verliehe, würde etwas kleinkariert wirken. Derjenige, der nicht zustimmt, hat keine Möglichkeit sein Befremden in einem Argument zu artikulieren. Das ganze ist in einem Ton vorgetragen, der vom Parlando die Gewohnheit übernimmt, Themenwechsel oder Verrückungen zuzulassen. Eine allgemeine Aussage als Setzung, um zu schauen, wohin man von dort aus kommt, interessiert mich. Hier folgt stattdessen bald die nächste Setzung, die das Feld schon wieder neu definiert. (Etwa im Gegensatz zu den Texten Sven Regeners, wo auch oft allgemeine Sentenzen Schlag auf Schlag folgen, aus diesen Sentenzen sich aber bspw. eine Geschichte erzählt wird, die als Klammer fungiert.) Wenn die Thesen loser verbunden sind, lässt sich mit wenig rhetorischem Aufwand leicht auch etwas behaupten, was dem Gegenteil nahekommt. (Ist vielleicht das die Intention von Ann Cottens Paraphrasen?) Natürlich behält der Text die gleiche Gestimmtheit und sicher ist in einem unkonventionelleren Sinne genau dies die Klavkische Botschaft. Die Texte wollen nicht bedeuten, sondern eine Lebensform ausdrücken.

Durch diese Intensitätsrhetorik fühle ich mich eher überwältigt als überzeugt, auch wenn unter den Erfindungen Klavkis im Einzelnen zahlreiche zu finden sind, die viel Esprit haben. Wenn man seine Lebensform teilt, dann spürt man in dieser Gestimmtheit vielleicht eine Gemeinsamkeit und eine Klammer, die das Ganze dann vielleicht doch unbeliebiger macht als ich es sehe. Nur wundere ich mich dann ein wenig: Von den soziologischen Papierdaten gehöre ich ja zu Klavkis Generation, habe ein ähnliches Umfeld, Studium usw. Warum trägt sein Gemeinschaftsangebot nicht einmal bis zu mir? Richtet es sich sozusagen nur an Katholiken, die noch katholischer werden sollen?

Klavki, das gehört für mich absolut zu den Dingen die Esprit haben, weiß um die Problematik der Tatsache, dass sich mit seinem rhetorischen Material ebensogut dieses wie mit wenigen, fast unmerklichen Veränderungen auch etwas anderes sagen lässt. Und er sagt es offenbar auch noch einen Charakter zitierend, der so völlig anders gestimmt ist: Arno Schmidt. (Im Klavkischen Kontext könnte allerdings etwas passieren, was bei Schmidt nahezu ausgeschlossen ist: Man könnte die Klavkistelle als Affront gegen theoretisches Ressentiment begrüßen.) Ganz ohne Unbehagen kann ich diese Stelle dennoch nicht annehmen, insofern solche Metareflektionen immer auch etwas Absicherndes haben könnten, dem Kritiker das Werkzeug aus der Hand nehmen. Und da entsteht dann eine Fallhöhe: Ich habe den Raum, mich öffentlich darzustellen, und dir wird er versagt. (Siehe oben.) Dieser Spalt, der sich da auftut, kann dann eben von einem halbwegs geschickten Autor mit mit allem möglichen Weiteren aufgefüllt werden: Ich habe den Überblick, ein Schicksal, die Kunst … usw. Das schreckt mich. (Füllungen mittels dieses Momentes der Würde erreichen offensichtlich ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit. So wird Benns Vortrag „Soll die Kunst das Leben bessern“ noch ein halbes Jahrhundert nach seinem Tod von Literaturdozenten affirmativ zitiert.)

Insofern mir dieser Aspekt der Fallhöhe immer wieder in die Argumentation gerät, kann dieser Text nicht beanspruchen eine kritische Würdigung zu sein, sondern es handelt sich eher um eine Dokumentation meines Ressentiments.

Was die verwendeten Zitiertechniken betrifft, fasse ich auch diese bei Klavki eher als rhetorische Mittel auf, und es gelingt mir nicht eine Eigendynamik darin zu entdecken. Wenn man paraphrasiert, lassen sich Zitate ja leichter zu eigenen Zwecken einhäkeln. Auch wird man ein kürzeres Zitat auch mal unwillkürlicher treffen („Lange Zeit bin ich früh schlafen gegangen“ in Paraphrase leichter als den kategorischen Imperativ wortwörtlich.)

Diese gröberen Mittel, die schnell kommunizieren, leicht riesige Sinnreiche erschließen, lassen auf den ersten Blick den Eindruck entstehen, Klavki habe für einen Vielleser keinen sonderlich erlesenen Geschmack. Man kann es aber eben auch funktionell verstehen: In einen schwierigen Kontext, (Lesebühne: Ablenkung, Zwischengequatsche, tw. nicht literaturinteressiertes Publikum usw.) trug Klavki literarische Verfahren und Themen hinein, ohne dass es sonderlich viele Beispiele gab, an denen man das seinerzeit lernen konnte.

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5 Comments on “72. Zu Klavki

  1. Als Du den ersten Teil Deiner letzten Antwort postetest, da dachte ich, genau genommen geht es hier schon lange nicht mehr um Klavki, sondern um uns und mir war seltsam dabei zumute, dass dies öffentlich verhandelt wird. So war schon der Einstieg Deines Posts für mich etwas verwirrend, insofern ich es irgendwie nicht einsehen würde, wäre dies ALLEIN um meinetwillen geschehen, Schon, weil Ziel dieses Textes offensichtlich ist, vor mir zu warnen. Ja ich dachte zunächst sogar, er wäre aus einer Haltung geschrieben, die in etwa lautet: „Wenn ich hier schon nichts Rechtes gewinnen kann, kann ich ihm dennoch mal ordentlich ans Schienenbein treten.“ Wenn zwei etwas ausspielen muss ja nicht der eine verlieren was der andere gewinnt, sie können auch beide gewinnen und eben, leider, auch beide verlieren … Das Beste und wie ich inzwischen auch glaube, das Richtige ist, dass ich doch davon ausgehe, Du glaubst (oder in dem Moment, wo Du es schriebst, bzw. nicht löschtest, glaubtest), was Du sagst, und habest mich unter dem Eindruck einer zu tiefen Lektüre der Schopenhauerschen Kunst Recht zu behalten, einfach schief aufgenommen und fortgesetzt. Du hast ja recht, ich ermunterte Dich zu theoretischer Entäußerung, sei es in der angedachten Rezension, sei es im Kommentar, sei es in einer Hausarbeit. Wenn Du hier eine beiläufige Bemerkung eins zu eins auf diese Debatte biegst, kommt es mir als eine exemplarische Verwirklichung eben jener Rhetorik vor, die Du mir vorwirfst, zu Unrecht, wie ich meine.
    Es ist ja so: Du hast öffentlich gemacht, dass solche wie ich mehr Klavki lesen sollten. Ich habe darüber geredet, warum ich dazu keine Lust hätte. Du jedoch wolltest mich aus meinem Fuchsbau herausscheuchen. Man kann aber kein offener Leser sein, wenn man sich weigert, sich viel mit Klavki zu beschäftigen, so implizit Deine These. Mir schien die Strategie Deine Argumente in meinen Kontext einzuordnen, so ziemlich die defensivste und friedlichste Art zu reagieren. Den Gegner sozusagen nicht anzugreifen, sondern lediglich wegzubeißen, wenn er dem Eingang meines Fuchsbaus zu nahe kommt. Und wenn ich nicht in meinen Kontexten zeigen darf, warum Deine Argumente mich nicht besonders beeindrucken, sondern mir das schon als billige Rhetorik ausgelegt wird, dann haben wir ein sehr tieferes Missverständnis, ich z.B. verstehe dann nicht mehr, wie eine im Gegensatz zu meiner unrethorische Antwort überhaupt aussehen könnte.
    In meinem Revier aufgescheucht, habe ich Deinen Kommentar an meinem Text, dies wäre dann mein Anteil an dem Zerwürfnis, etwas aggressiver verstanden, als er war: Ja Wahrnehmungen verändern sich auch durch Argumente allenfalls eher auf lange Sicht. Insofern Du darauf hinaus wolltest, war Manches an meinem letzten Post unnötig und nicht so zurückhaltend, wie es hätte sein müssen. Dein Ps an der ersten Antwort: es käme alles davon, dass ich eben einfach nicht genug Klavki gelesen hätte, als Friedensangebot zu verstehen, käme mir jedoch wie ein Raubfrieden vor, den ich inakzeptabel finde.
    Wir sind uns ja nicht einmal darüber einig, wie ein gutes Gespräch über einen Dichter gestaltet sein sollte. Während Du an meinem Text rhetorisch Finten unterstellst, habe ich auch bei Dir an manches Stelle Bauchschmerzen: „Seine Sentenzen sind semantische Gravitationsfelder.“ (Wenn Du mir nicht unterstellen wolltest, dass ich Literaten für Schwätzer halte, könnte ich mir vorstellen, dass ein solcher Satz in einem literarischen Text mehr als eine wie in diesem Falle verschleiernde Funktion haben könnte.) Wie wäre der Satz: „Michael Fiedlers Texte sind semantische Gravitationsfelder“, (meine auch) … man kann das über jeden Text sagen, (freilich: Bei einer Gebrauchsanleitung, müsste man diese These dann vielleicht noch eigens rechtfertigen.) Aber in dieser Sprache dennoch versucht zu sprechen: Weil Klavkis Texte so viel und alles heißen, und immer dem Deuter die Schuld in die Schuhe schieben, wenn man sie etwas heißen lässt, sinds für mich wohl schwarze Löcher: Sie heißen zunächst gar nichts. Ich werde mich dennoch auf das schmale Brett begeben und ungeschützt als Leser darüber reden, was mich an ihren Inhalten stört (Und werde da über die Propositionen reden müssen, so heikel das gerade bei diesem Dichter ist.)
    Wenn jemand zu meinen Texten (oder Fiedlers) sagte, sie seien ein leeres Phantasieparadies, könnte er damit sogar was Richtiges sagen. Wie Nietzsche beharrt, dass nach dem toten Gott noch der Schatten Gottes da ist, so kann man manches Wichtige erst sagen, wenn man vorher die Sprache von dem Vorhandenen beräumt hat. Wenn man dann aber das „leider“ hineinfügt, wäre das für mich ein Indikator dafür, dass man irgendetwas nicht richtig geggriffen hat. Was „Apostrophendenken“ ist, müsstest Du mir erklären. Ich glaube im Übrigen nicht, dass Klavki unbedingt unter meine Fans zu rechnen wäre, lebte er noch. Ist doch OK?
    „Schreiben ist schwierig, wenn Leser bestimmte seltsame Sachen von Texten erwarten, die mir als Schreiber und Leser nicht wichtig sind.“
    Was nun aber, wenn Dein Satz plötzlich auf Dich zurückfällt?
    Weiß ich nicht, auch das müsstest Du näher ausführen. Mir wird aber tatsächlich klarer, dass ich bestimmte Sachen richtig unangenehm finde, allerdings als privater Leser und nicht als Literaturwissenschaftler. Und ich muss es hier auch einräumen, damit Du meine Dickfelligkeit nicht öffentlich als Missachtung geißelst, bzw. meinem Lesen öffentlich unwidersprochen eine Enge unterstellst, wo es die nicht hat. Dazu unten mehr. „Bertram, Du musst einen Text immer erst zu einem experimentellen hochstilisieren, um ihn gut finden zu können“. Hier machst Du eine beiläufige Bemerkung zu meiner Schwedeslektüre, die übrigens nicht von Thomas Kunst stammt, zu einer bedeutungsschweren Sentenz. Die Sache ist die: Ich möchte Dir öfters gerne tatsächlich Texte nahebringen, die sich mit einem schulmäßigen Verstehensbegriff nicht so rasch erschließen. Über andere Texte reden wir beiläufiger. Ich denke, das ist auch eine Frage der Wahrnehmung, denn über Friedrich Nicolais Briefromane z.b. würde ich Sätze wie „man weiß erstmal nicht, was hier passiert“ oder „ich kenne mich in diesem Text nicht aus“ kaum äußern, und lese sie dennoch gern. Auch der Krimi „Des Mordes verdächtig“ über dessen Lektüre ich Dir vorschwärmte hat seinen Reiz sicher nicht aus solchen Gründen.
    Wenn ich Deine Einwürfe ansehe, dann bemerke ich, dass einige unserer Missverständnisse von Deiner sensiblen Sorge um Statusunterschiede herrühren. Ich benutze das GZSZ Beispiel in der Tat öfter, und immer dieses, weil es die einzige mir und allgemein bekannte Fernsehserie ist, die eben für Fernsehserie steht und sonst für gar nichts (Dallas etwa steht für die Reichen, Schönen, Djunglecamp für besonders schlechten Geschmack usw.) Und in der Tat benutzte ich dies, um Statusunterschiede zu nivellieren: Allerdings in b e i d e Richtungen: Nur eben, wenn man Goethes Faust oder Klavki oder was auch immer für Hochliteraur hält im Gegensatz zu etwas Anderem ohne dass man eben mitsagt, was das Eine zu dem Einen und das Andere zu dem Anderen macht, also den Unterschied für FRAGLOS gegeben hält, sollte einen das ärgern. Ja, soll dann auch! Eine billige Provokation über die Unterschiede (öffentlich) nachzudenken, also keinesfalls um das Gespräch abzuwürgen. Ich wollte wissen wie Du die Unterschiede benennst zwischen Klavki Heidegger, Stolterfoht etc., meinen lumpigen (elitären?) Standpunkt nicht so ernst nehmen sondern mal horchen, was das Deutungsproletariat (zumal es erstarkt!) da zu zu sagen hat?
    Klavki gegenüber wollte ich nicht mei Literaturverständnis an sich, sondern lediglich meine Haltung zur Proposition untersuchen, denn Du ersparst mir im bisher letzten Teil Deiner Antwort genau diese Frage nicht. (Ich ahnte es, aber das liegt natürlich auch daran, dass wir hier zu zweit reden.) Ständig überprüfe ich mir so etwas, jeder Gegenstand kann zum Anlass werden mir allgemeinere Fragen vorzulegen.
    Ein weiteres Missverständnis in Deinem Nachdenken über Status: „Manches trifft mich vorbereiteter“ „ … als Du“ so hast Du gehört? „ … als Anderes mich trifft“ war, was ich sagen wollte. (Du hattest wirklich schlechte Laune, wenn Du mir sooo billige Autoritätsargumente unterstellst.)
    „Die frühen (späten, anderen) Alben sind die Besten“ ist nach meiner Erfahrung wenig überzeugend.“ „ … ohne dass man mir sagte, warum denn diese Alben besser sind“. So etwas hatte ich um der Prägnanz willen fort gelassen. Da war ich offensichtlich nicht in der Lage mich verständlich zu machen. (Soweit zu meiner Rhetorikkunst.) Und so wird’s dann auch kein Widerspruch zu dem sonst Gesagten. Ansonsten: ja, ich neige als Leser dazu, Spätwerken mehr Aufmerksamkeit zu schenken als andere Leser. (Nie entwickelte sich das Segelschiff so rasant, wie zu der Zeit, als es durch das Dampfschiff Konkurrenz bekam.) Von Klavki haben wir kein Spätwerk. So löst sich der von Dir aufgefundene Widerspruch auf.
    Ich wollte ja wirklich nicht mehr sagen als: Es gibt so viele Dichter, die ich noch wiederlesen muss, da liegt Klavki für mich nicht oben. (Und ich lese ihn nun schon mehr, weil ich Dich verstehen will.) Offenherzig alle vielleicht Interessanten mute ich mir dann im ewigen Leben zu.
    Zu guter Letzt habe ich natürlich auch nicht den Fürwitz Bibel gegen Platon auszuspielen. Ich war etwas befremdet: Wenn ich Dir versuche zu skizzieren, wie die Kircheväter den Phaidros läsen, dann weißt Du doch, dass ich hier keine dümmlichen Prioritätsdebatten zwischen den Texten anstrengen wollte? Aber warum verheimlichst Du dies Wissen? Ich wollte nur warnen: Manches, was im exotischen Gewand des Altgriechischen einherkommt, ist eingefleischte Denkweise unserer Kultur: „Du hast schon so mehr Platon als Du denkst“ Wenn ich das Gleichnis vom Viererlei Acker und das Sähmannbild aus dem Phaidros Dir nebeneinander vorlegte, wollte ich ebenfalls auf Differenzen hinaus, deren Bewertung ich Dir natürlich letztlich anheimstelle. Ich finde es grundsätzlich nicht uncharmant, erstmal Texte zu vergleichen, sondern auch fruchtbar, muss aber hier nun aus der Höhle treten und vorher einen generellen Unterschied versuchen aufzuzeigen.
    Ich denke unser Grundmissverständnis über Klavki hat auch mit unseren Grundeinstellungen in der Betrachtung der öffentlichen Rede zu tun. Während Du Platon affirmierend davon ausgehst, dass man die Wahrheit erst kennen muss, sie sozusagen Konstituens der Rede ist, denke ich, dass Wahrheit eine Eigenschaft von Sätzen ist, bzw. von den Übergängen zwischen den Redeteilen, sich durch Sprache also erst herstellt. Während Du die Vorsicht meiner Argumente Schopenhauersch liest, nach dem Motto: „wer wenig sagt, ist weniger angreifbar und kann sich seinen Teil dennoch denken“, frage ich eher „Inwieweit sind meine Abneigungs- und Zuneigungsgefühle durch meinen Denksprachprozess zu rechtfertigen.“ Und insofern Du mir immer unterstellst, erstens Klavki nicht genug gelesen zu haben und zweitens Unrecht zu haben, ist es ein wenig unfair, mir drittens auch noch zu vorzuwerfen, dass ich zu Klavki nicht allzu viel Dezidiertes sage.
    Aus dieser Quelle stammt auch Dein Verdacht, ich denke systemisch. Du weißt, wie wenig ich die Systemtheorie schätze, sie legt zwar die Wahrheit auch diskursiv an, möchte aber den lebendigen Prozess der Wahrheitsfindung immer wieder im vorhinein Stillstellen. (Jedenfalls finde ich so etwas laufend in deren Texten vor.) Und das erinnert mich hierin an zumindest eine Platonfehllektüre des Mittelalters, die im Platon durchaus bereits angelegt ist. Bei Platon ist ja der Wahrheitkünder dem Sähmanne gleich, der weiß, wo er welchen Samen streut und hegt, der biblische Sähmann hingegen streut den Samen irgendwo und es wächst dann eben hier dieses, da jenes. (Wenn Du das Wort systemisch allerdings im fernliegenderen Sinne der psychologischen Theoriebildung verstanden wissen willst, also etwa in Abgrenzung zu psychoanalytisch oder kognitivistisch, hast Du eher Recht.)
    Ich bin darauf etwas genauer eingegangen, weil mir eben an Klavki und wahrscheinlich besonders an den Stellen, mit denen Du mich zu überzeugen suchst, diese stillgestellte Wahrheitssuche auffällt. Wir hatten dies in Bezug auf Abgrenzung von Leben bereits diskutiert. Dies finde ich in dem nun von Dir zitierten Text wieder. In „diese Leute brauchen mehr als nur Glück“ spricht sie sich aus. („diese“) Es könnte sein, das die Stelle mit den Kleinplatikenflaschenöffnern ebenfalls in diese Richtung läuft. Dies ist aber eher ein Grübelangebot und man könnte immer auch sagen (Nicht immer, aber immer auch) es ginge hier darum, solche Abgrenzungen persiflierend zu hinterfragen. Ansonsten ist der Text energetischer, auch von interessanteren Bildern durchsetzt, konkreter, als das Gegenbeispiel aus anderer Feder. Ja wirklich und ganz und gar zugestanden. Grübelangebote dennoch, ich versuche die mal theoretisch auszulegen. Das Adjektiv „schnupfenfreundlich“ trägt für mich eine leicht possierliche Note die im Drive des restlichen Textes eher eine Arabeske darstellt. Absicht oder überschüssige Energie? „Schlachtlinienspalier“, warum die Doppelung? Warum nicht „Schlachtspalier“ (oder langweiliger „-linien“?) Wenn man nur auf den Text trifft, ohne über ihn hinaus zu gehen, gibt es Kriseligkeiten. Könnte man diese und andere Schwankungen des Tones präzisieren? Vielleicht hätte der Text dann noch mehr Geschwindigkeit, würde aber nicht mehr so existenziell, so als Durchbruch durch etwas anderes (eine Mauer etwa) gesagt wirken? Also am Text allein kann man das wirklich nicht festmachen, ob seine Schlierigkeiten feinsinnige Grübelangebote darstellen, einfach Vergesslichkeiten bei der Textarbeit anzeigen, oder Signaturen einer existenziellen Haltung darstellen. Man muss offensichtlich über den Text hinaus. Du sagst es ja: In den Appell. Nun hat ein Appell immer einen Inhalt. Und wenn jemand bloß sagte: „Mach mal“ müsste ich irgendwie wissen, was zu tun ist, damit der Appellakt funktionieren soll. Während man sich von einer Predigt auch erst einmal mehr oder minder beregnen lassen kann, ohne dass sie aufhörte, darum eine Predigt zu sein.
    Da bedarf man also für Klavkis semantische Gravitationsfelder doch einer vorgängigen Deutung. Du schlägst eine vor, deren Grundrichtung ich eher ahne, die aber plausibel scheint. Ich möchte aber als jemand, der Klavki nicht so gut kennt, nicht unbedingt Verantwortung für sie übernehmen. Dazu weiter unten dann ein Wort.
    Du schlägst drei Möglichkeiten vor, jemandem die Glaubwürdigkeit zu bestreiten. Auf diese analytische Unterscheidung meines vageren Gefühls befragt, würde ich die Möglichkeit 2 herauszuheben: Jemand, der einen nicht überzeugt. Zwar ist mir die Inszenierung um Klavki etwas unheimlich insofern sie zeigt, dass sich Klavki auch für Dinge einspannen lässt, die mir etwas fern sind, nämlich eine exemplarisch devote Dichterverehrung. (Ganz möchte ich ihm nicht zugestehen, dass dies nicht auch zumindest etwas in seinem Sinne war: Wenn jemand in kurzer Frist hundert Postkarten und Briefe einer Person zukommen lässt, dann insziniert er oder er hat zumindest ein sehr verpeiltes Kommunikationsverhalten.) Aber ich versuche hier Klavki eher als jemanden zu nhemen, der mit der Frage des guten Lebens und was dafür zu tun wäre befasst ist, wie jemand der einen Glauben hegt, den ich nicht hege.
    Verändert die Tatsache, das sein Leben irgendwie „echt“ war etwas? Ich soll offensichtlich Klavkis Texte als Dokumente lesen. Was dokumentieren sie, frage ich mich dann. Dann dokumentieren sie eben Leben und Sterben einer Persönlichkeit, die mich weniger interessiert als Dich. Ja, kein Grund sich hier irgendwie aufzuregen. Nein, Du erwartest von mir die Literatur Klavkis aufgrund seiner Persönlichkeit und die Persönlichkeit Klavkis aufgrund seiner Literatur schätzen zu lernen. Da Du von mir als Literaturkenner entrüstet bist, werde ich natürlich immer bei der Literatur anfangen, mich diesem Deinem Auftrag zu stellen. Und dafür muss ich nicht Anhänger einer Poesie Pure sein, wie Du es Dir vorstellst (als Pedant muss sich hingegen jeder irgendwann mal angreifen lassen, der präzise öffentlich denken will).
    Es gibt ja offensichtlich eine Unterscheidung zwischen unseren Leseweisen. So grob, wie Du sie darstellst, ist diese Beschreibung für mich allerdings nicht hinzunehmen, sondern wirkt eher wie eine Karikatur meiner Lektüre, der ich widersprechen möchte. Die Unterscheidung zwischen einer Poesie Pure und einer anderen, die mehr mit Welt und Appellen zu tun hat, ist nämlich auch nicht einfach da sondern hergestellt von Dichtern, die etwas Bestimmtes wollten und, wie ich meine, auf Grund eines inadäquaten Sprachverständnisses eine Unterscheidungslinie in die Dichtungstheorie einbrachten, die ziemlich unfruchtbar ist (zumindest heute). Denn es gibt zwei mögliche Versuche, eine Dichtung frei von Bezügen zur Realität zu denken. In einem trivialen Sinne kann man Poesie Pure verstehen als das Nichtbefolgen einer abbildrealistischen Konvention. Da fallen dann aber schon Brecht und Fontane unter die Poesie Pure, wenn man das Konzept stringent ausbaut. Das kann es offensichtlich nicht sein.
    Ein starkes Verständnis von Poesie Pure lässt sich mehr oder weniger radikal akzentuieren. Einerseits kann man versuchen eine Dichtung zu phantasieren, die wirklich radikal nichts mit der Realität zu tun hat. Ein solcher Versuch ist äußerst schwierig, da noch in den jeder Wortsemantik beraubten Buchstabenkonstellationen die Laute ein possierliches Eigenleben führen könne, zu Wesen mit eigener Geschichte, mit Aufschwüngen und Scheitern werden können, also einer spontanen Allegorese zugänglich sind. Auch redet ein Ausdruck radikaler Statik, ebenso wie die Tatsache, dass man fast jedwedes Gebilde als eine exemplarische Möglichkeit für ein Sprechen betrachten kann, immerfort von Fragen: „Wie sollen wir sprechen“ (handeln) „Was dürfen wir hoffen“ „Was ist der Mensch“ (indem ich ja meine, dass wir ihn nicht ohne Sprache denken können.) Alle Beispiele zumindest, die die Wikipedia für absolute Poesie anführt, wären keine Beispiele für absolute Poesie.
    Man muss also, hart gesprochen, die Möglichkeiten dessen, was Realitätsbezug sein kann durchsortieren und einige davon mehr oder minder künstlich umtaufen: „Dies nenne ich nicht Realitätsbezug sondern Knirf“ So etwas ist nur möglich, wenn man schon immer vorher aus Gewohnheit weiß, was Wahrheit ist. Einigermaßen sauber aus der Affäre käme man lediglich, wenn man sich damit beschiede, etwa parallel zur absoluten Musik, all das absolute Literatur zu nennen, von dem man nicht recht sagen kann, wovon es handelt. Sollen aber Rilke, Marlarme usw. dann noch dazu gehören, (Ganz falsch wäre es ja nicht, zu sagen „Der Panther“ handele eben von einem Panther), dann gehört, wie ich mehrmals, z.B. in meinem Essay „Über Lesen und Überschreiben“ zeigte, auch wieder mehr dazu, als man da eigentlich haben will. Z.B. Brecht und eben wieder Klavki. Überdies würden gerade die von Dir so warm an anderer Stelle auf der Lyrikzeitung verteidigten Hermeneutiker wohl darin ein Merkmal von (wie sie sich ausdrücken mögen) „echter“ Poesie übhaupt, im Gegensatz zu sich im „bloßen“ Abbilden, „bloßem“ Engagement etc. „sich erschöpfenden“ trivialen Art von Artefakten sehen. Also: Begreifen die Hermeneutiker Poesie zu eng oder ist dieser Begriff von absoluter Poesie zu weit?
    Bei diesem Unterschied ist leicht einzusehen, wie man ihn erst herstellen muss, um dann die Phänomene einzusammeln.
    Worauf ich hinaus will: Ich meine wirklich auch, dass Klavki weder besser noch schlechter wird, wenn ich ihn nicht mag. Nur kann ich Deine Beschreibung meiner Gründe, ich wiederhole es, nur schwer akzeptieren und mache deswegen hier andere Vorschläge. Es könnte tatsächlich eine Art konfessioneller Unterschied hier eine Rolle spielen.
    Wenn ich einen Appell aufnehme, so denke ich mir, sollte ich natürlich erstens irgendwie motiviert werden, zweitens sollte ich einig mit dessen Autor werden, dass es diese Gegenstände überhaupt gibt. Um erst einmal zu verstehen wovon er redet, könnte ich schauen, wie Klavki seinen sprechenden Durchbruch organisiert, herausbringen, wo die Wand steht, durch die er bricht, von wo nach wohin man ihm folgen soll. Wenn jemand so vehement spricht wie Klavki oder, ihn auslegend, Du, sollte da etwas herauszubringen sein. (Auch wenn Du zugestehst, dass es sich um Übertreibungen handelt. Ich habe ja in dem einem von Dir zitierten Essay gesagt, dass der Übertreibungsvorwurf oft dafür herhalten muss, Geltungsansprüche von Texten zu relativieren und werde ihm dies a l l e i n nicht zum Vorwurf machen, obwohl es natürlich das Problem nicht löst, davon zu sprechen, dass Klavki die gelungene Übertreibung biete, denn was gelungen ist, versuchen wir ja eben erst herauszubringen.) Und in Deiner Zuspitzung machst Du ein Problem für mich offenbar, das sich nicht, ich gestehe es zu, auf den ganzen Klavki übertragen lassen muss, dass aber hier um des von Dir ja ebenfalls angezielten konfessionellen Unterschieds willen einmal benannt werde.
    Du gibst das Beispiel von der Wortliste und zitierst Klavkis Fortsetzung:„Für alle germanistischen Besserwisser, die ständig behaupten, die Sprache sei beschränkt.“ Wenn er das ernst meinte, fände ich das geschmacklos. Denn so doof sind wohl nicht einmal die meisten Germanisten, dass sie glauben, man könne nicht Komposita bilden. (In der Tat also ein Spiel mit Type-Token Relationen) Diese Stelle ist nur glaubwürdig, wenn man Germanisten solche unwahrscheinlich Dummheit ernstlich zutraut und sich selbst für klüger hält. Man ist sich bereits bevor gesprochen wird einig in seiner Übersicht über die Welt, während die anderen doof sind. Insofern Klavki semantische Gravitationsfelder bietet und selten ungebrochen sagt: Es verhält sich so und so, stellte er diese vorgängige Einigkeit auch nie in Frage. Was ist anders geworden dadurch das gesprochen wurde? Die Gemeinsame Feier eines Durchbruchs durch eine nichtvorhandene Wand. Das ist das eine. Das andere: Wenn ich nun nicht von ganzem Herzen Klavki glaubte, sondern meinen wollte, dass die Sprache in bestimmtem Sinne tatsächlich beschränkt ist, etwa darin, dass ein Wort niemals eindeutig auf einen Gegenstand zeigen kann, dann legt diese Stelle nahe, dass die versammelten Vorurteile über Germanisten auf mich zutreffen. (Selbst wenn Klavki die geschilderte Tatsache, wenn ihm danach ist an anderer Stelle einräumen mag.) Ein Trick aus der rhetorischen Mottenkiste. Schon Platon warnt in seiner Schrift Phaidros vor der unberufenen Lektüre und jeder, der Platon kritisiert, muss sich seither als unberufener Leser verunglimpfen lassen, während der Platonfan natürlich dem Konzept zustimmt und sich klammheimlich auf die Seite der Übersicht schlägt: „Ja, es gibt unberufene Lektüre, aber natürlich nicht meine.“ Eine Rhetorik, die jeden Glaubenskampf durchzieht und immer die Seite der Macht von der Not Argumente zu finden entlastet. Gegen Luthers Bibel wurde sie vehement vorgebracht. Auch Nicolai karikiert den Lesakt derjenigen, die seiner Romatikerkarikatur nicht zustimmen. Textstellen die die Lektüre ihrer selbst dergestalt thematisieren, dass Nichtzustimmung mit einer sozialen Abwertung einhergeht, empfinde ich als problematisch, bemerke aber, dass solche Mechanismen in Leseakte stärker eingehen, als Literaturwissenschaft und Selbstbeschreibungen von begeisterten Lesern dies gemeinhin nahelegen.(und diese Erpressung mittels eines Konzeptes der unberufenen Lektüre ist ja nur eine von vielen Möglichkeiten, den Leser subkutan gleichgesinnt zu stimmen.)
    Weiter bin ich in meinem Nachdenken über die Proposition bisher nicht gelangt. Insofern werde ich zur Frage der Wahrheit der Literatur kaum etwas Erschöpfendes sagen können. Nur dies: Man sollte den Dichtern das Lügen nicht verbieten. Nicht nur, weil des einen Übertreibung schon des anderen Lüge ist. Sondern vor allem, weil die Kontrolle der Wahrheit in diesem schwammigen Gebiet immer auf eine wilkürliche Zensur hinauslaufen muss. (Zumal, wenn sich Wahrheit sprachlich herstellt.)
    So kann ich auch nicht über Prosawahrheit und Lyrikwahrheit an sich mit nachdenken, zumal ich an einen Unterschied kaum glaube. Auch das Textbeispiel von mir, dass Du zu Grunde legst, ist wie meine anderen Prosatexte ebenfalls sicher schlecht geeignet, diese Frage zu untersuchen, insofern es mir wie immer bei meiner Prosa darum ging, bestimmte Modelle von Glaubwürdigkeit zu hintergehen. (Während mir bei Klavki die Modelle, die er ev. hintergehen möchte nicht recht plastisch werden.) Abgesehen davon weiß ich bei diesem, wie bei anderen meiner Prosatexte durchaus nicht, ob sie ausgegoren sind. Also, ob sie, sollten sie gescheitert sein, dies aus substantiellen Gründen sind oder durch akzidentielle Macken im Detail. Ich würde natürlich noch nicht einmal sagen, dass in Bezug auf Glaubwürdigkeit alle meine Gedichte gleichförmig funktionieren. So sieht es mir ein wenig so aus, als ob D u bestimmte sehr klare Erwartungen an gute Lyrik hast, die sich von denen unterscheiden die D u an gute Prosa hast. Denn ich habe Dir ja sowohl Lyrik als auch Prosa vorgelegt, die keineswegs Poesie pur waren, sondern geradezu polemische Ansprüche verfolgten, die Du aber nicht goutiertest.Auch hier wieder bei Dir eine Gewissheit, die ihrer Versprachlichung vorausläuft. (Insoweit Du allerdings mit Deiner Unterscheidung lediglich darauf hinweisen möchtest, dass ich auf das, was man so landläufig lyrische Prosa nennt signifikant häufiger allergisch reagiere, als viele meiner lesenden und schreibenden Mitmenschen, dann hast Du Recht.)
    Deswegen scheint es mir kaum ein Weg, jetzt als nächstes dahingehend Klavkis Gedichte zu untersuchen, von denen ich immerhin einige ebenfalls kenne. (Vielleicht lieber mal privat?)

    Ps: Wenn ich hier den Trend fortsteze allerhand Kulturgüter in unseren Disput hineinzuschlingen, dann deshalb, weil Dich das aufzählen dürrer formaler Argumente Dich sicher in Deiner polarisierenden Sicht bestärkt hätte, sodass ich glaubte, es wäre doch sinnvoller gleich mit anzudeuten, was diese Formalia im jahrhundertelangen Ringen um Sinn ausmachten. Notwendig für den Sinn meiner Argumente ist diese historische Fundierung nicht.

    Pps: Du räumst mir gegenüber am Telefon ein 😉 , dass Du meine Aussagen oft aus rhetorischen Gründen aus dem Kontext reißt und absichtsvoll umdeutest. Ich würde mich gern mit Dir einigen, dass wir nur öffentlich getane Aussagen hier kommentieren, wo solche Tricks wenigstens potentiell überprüfbar bleiben.
    Vielleicht sollte ich schonmal Husserl vornehmen, um gewappnet zu sein? (Ich weiß aber ohnehin nicht, ob sich eine solche Debatte in dieser Intensität überhaupt fortsetzen lässt.)

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  2. Ja nun, Bertram, es ist recht schwierig, gegen [D]ein Unbehagen an zu argumentieren (Man könnte höchstens eine emotionale Gegendarstellung versuchen). Der Einwand „Du hast ihn zu wenig gelesen, um ihn r i c h t i g ablehnen zu können.“ klingt von meiner Seite sicher wenig überzeugend. Indes: es ist vielleicht eine Tugend, sich etwas zuzumuten. Wenn ich durch meine Wohnung gehe, stoße ich in meinem Bücherschrank auf so manchen Philosophen oder Dichter, der für mich zu Anfang eine Zumutung war. Heidegger z.B., oder Stolterfoht… (n a t ü r l i c h!). Mittlerweile muss ich bei so manchem Gedicht Stolterfohts lachen, ich entdecke viel Humor, der mir zunächst völlig entgangen ist. Ich glaube, man muss sich überhaupt oft erst in eine Sprache einlesen, bevor man sagen kann, dass etwas nicht gut ist. Das kostet natürlich Mühe, Zeitaufwand, Aufmerksamkeit – kostbare Güter. Aber man kann es auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Ein Freund meinte mal zu mir, dass einige der besten Bücher, die er gelesen hatte, (absichtlich?) besonders in den ersten Kapiteln keinen leserfreundlichen Einstieg bieten, so als ob sie potentielle Leser sortieren: wer dranbleibt, entdeckt Großes, wer aufgibt, wäre des Buches eh nicht würdig gewesen. Nunja.

    Wir sehen es offenbar beide ähnlich, dass sich Glaubwürdigeit rhetorisch herstellen lässt und sind uns nur uneins darüber, ob Klavki das beherrscht. Ich erinnere nochmal an die Stelle im Walser, als Ulrike zu Goethe sagt „Ihre Sätze klingen immer, als wären sie wahr.“ Danach, wie um zu beweisen, dass sie recht hat, dreht sie alle Sätze Goethes um und zeigt, dass auch die Umkehr ebenso wahr klingt. Goethe erwidert darauf (in etwa), dass die Umstellbarkeit eines Satzes nichts über seinen Wahrheitsgehalt aussagt (es verrät uns höchstens, nein mindestens was über unsere Sprache). Der Satz kann trotzdem stimmen. Ich erinnere weiter an Kundera (huch, den magst Du ja auch nicht) – „Die Lyrik ist ein Gebiet, auf dem jegliche Behauptung zur Wahrheit wird. Der Dichter sagt gestern ‚alles endet und fällt in Stille‘, heute sagt er „nichts endet und alles klingt ewig“, und beides gilt. Der Dichter muss nichts beweisen; einziger Beweis ist das Pathoserlebnis.“ Irgendwie verständlich, dass Du dann nach Glaubwürdigkeitssignaturen Ausschau hältst, wenn Du Dich von Klavki nicht b e t r o f f e n fühlst – Du ahnst bereits: Dichter sind Schwätzer. Klavki stimmt Dir zu:„Ein guter Text beherrscht die Kunst der Lesertäuschung; vielleicht sogar die Austreibung des Lesers aus dem Text.“ Trotzdem. Ich finde: gute Literatur ist Gott sei Dank mehr als die erfolgreiche Anwendung von Sprachstrategien.

    Sei’s drum. Wenn ich frage „Was macht, dass [Bertram] anders liest als ich?“, frage ich eigentlich nicht nach Gründen, die sich im Text finden ließen. Es ist ja nun einmal der gleiche, den wir beide gelesen haben – der Unterschied liegt im Übergang zwischen mir und Dir. Irgendwas wechselt. Die Blickeinstellung (weich/scharf; Frosch/Vogelperspektive)? Macht es Die Leseerfahrung? Macht es das Literaturtheoriestudium? Wenn es öfter Studenten gibt, die zugeben, sich ihre Lieblingsautoren durch die Literaturwissenschaft versaut zu haben, heißt das dann automatisch und immer, dass sie vorher zu naiv gelesen haben oder verliert man durch Zugewinn eines analytischen Blickes nicht auch einen Gutteil des alten Blicks? Ich weiß es nicht.
    Was meinst Du,
    Monsieur le vivisecteur?
    PS: Man sollte vielleicht hinzusetzen, dass Du hier über einen einzigen Text sprichst, nämlich, „der Wolkenhändler“, für den „Traumzeugen“ etwa gelten Sätze wie „Die Texte wollen nicht bedeuten, sondern eine Lebensform ausdrücken.“ nicht. Ich zitiere mal: „Die Orte sind umgezogen. Unter die Geräusche. In die Dichtung. Nebel ist überall. Nachthimmelwüsten: Man sieht nur die Leere. Und das nichts-farbene Wasser.“ ; „Dass durch alle Poren die Welt einbricht. Und abgestimmt schlägt die Zunge. Diese e i n e Zunge. Verdoppeln. Verdoppeln! Für die große Musik der Körper. Der Name? Dahinter. Ein nicht-enden-wollendes Echo. Das Du in jedem Ich.“
    PPS: Und naja. Gleiches soziologisches Umfeld? Das bezweifle ich mal stark. Wenn ich es recht bedenke, reagierst Du genauso wie meine Mutter auf Klavki, mit den selben Abwehr-Argumenten… Vielleicht bist Du also soziologisch doch eher in ihre Nähe zu rücken? Vom Alter passt‘s auch! ; )

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    • Liebe Christiane. Eigentlich wollte ich Deine Antwort zum Anlass nehmen, über Weihnachten mal für mich den Status der Proposition in der Dichtung zu klären. Da ich aber nicht zuletzt durch Dich aufs angenehmste abgelenkt wurde und das Problem wirklich auch sehr schwierig ist, hier nur und auf die Gefahr hin, das alles zerfasert, einzelne Gedankenbruchstücke auf Deine Einwände:
      Ja Du hast recht, der Satz „Die frühen (späten, anderen) Alben sind die Besten“ ist nach meiner Erfahrung wenig überzeugend. Auch ist es eine Tugend, sich etwas zuzumuten. Indes: Was? Dir entgeht ja nicht, dass Dein Argument ebenso für GZSZ wie für Ulysses gilt. Meine Vorlieben und Vorurteile gehen mit meiner Leseerfahrung eine Mischung ein, um das knappe Gut Zeit möglichst für interessante Lektüren zu nutzen. Stolterfoht oder Heidegger sind, wo sie eine Zumutung sein sollten (Für wen?) sicher aus anderen Gründen eine solche, als Klavki. Stolterfoht und Heidegger haben in meinen Augen eine Gemeinsamkeit: Dieses Gefühl beim Lesen „Ich kenne mich nicht aus“. Bei Klavki hingegen eher das Gegenteil. Ein zu viel an Bedeuten.
      Ich möchte natürlich nicht zwei Berühmte gegen einen weniger berühmten ausspielen: Bei Heidegger, soweit teilen wir eine Meinung, gibt es Marotten und die Frage ist eher: Inwieweit ist sein Stil konstitutiv für seine Einsichten. Und sind seine Einsichten mitteilbar ohne dieses Raunen? Wenn das möglich wäre, würde ich diejenige Philosophie vorziehen, die es ohne könnte. Und Heidegger bliebe allenfalls das relativ uninteressante Verdienst, vielleicht diesen oder jenen Gedanken als erster gefaßt zu haben. (Man müsste freilich dieses Verdienst gegen die damit [notwendig?] verstrickten Irrtümer aufrechnen.) Stolterfoht ist hingegen keine Zumutung mehr für mich. Sie war bloß eine, weil ich vorher nirgends dies richtig lesen gelernt hatte oder das. (Er hält ja auch Überraschungen bereit und manches Ding ist anders gemacht als manch Anderes. Zumutung also nur relativ dazu, dass mich Manches vorbereiteter traf.)
      Wie dem auch sei: wenn ich hier offen lassen muss, wie es mit Heidegger steht, dann kann ich, vorausgesetzt, ich habe keine Gottesperspektive, dennoch in meiner Meinung zu Klavki bestimmt bleiben.
      Träfe mich Klavki unvorbereiteter, träfe er mich dann tiefer? Gerade weil es mich an Dinge erinnert, wie ich sie schon mehrmals gelesen habe, habe ich Misstrauen: Diese Auswahlen, die bei intensiven Gegenständen und bei einer tiefen Luftigkeit ansetzen, habe ich bei vielen Zwanzigern bis Dreißigern, die später anders schrieben gelesen. Sie waren nach und nach davon abgekommen. (Ganz abgesehen davon, dass mein eigenes Schreiben mal mehr Gemeinsamkeiten mit dem Klavkis hatte [natürlich bloß mit dem, was eher seine Marotten sind] als mein jetziges. Dieses Predigende habe ich auch in meiner Familie gehabt. [Weiß also nicht, ob ich da habituell wirklich nach Deiner Mutter komme oder nach Klavki.])
      Mir ist es einfach irgendwie verdächtig, wenn man ES zu schnell haben will. Nun lehne ich so einen Bedeutungs- und Tiefenfuror zwar oft, aber keineswegs grundsätzlich ab. Man kann durchaus das, was mich stört an Klavki an Buchmann oder Borges mögen. Wenn Dein Argument mit dem Zeitnehmen mehr sein soll als der Verweis auf die immer gegebene Möglichkeit intelektuellen Scheiterns, dann hätte ich mir gewünscht, dass etwas von etwas abgegrenzt würde: Jemand den meine Angriffe treffen könnten vorzustellen und dann zu sagen, warum Klavki anders ist.
      Ich kann auch nicht sehen, dass Klavki durch sein Vokabular und die Auswahl seiner Themen Hürden aufrichten wollte, wie es z.B. Eco in der Nachschrift zum Namen der Rose beschreibt. Ebenso könnte man so die Eigenschaften von Udo Jürgens Texten verteidigen, die ich als Zumutung empfinde, solange Du nicht darstellst, für wen mit welcher Funktion diese Hürden errichtet wurden.
      Die Walserstelle kenne ich nicht, für mich bleibt sie allerdings, so wie Du sie darstellst, ein Einspruch gegen Goethe (bzw. Klavki).
      Etwas merkwürdig verhält sich das Kunderazitat: „Die Lyrik ist ein Gebiet, auf dem jegliche Behauptung zur Wahrheit wird. Der Dichter sagt gestern ‚alles endet und fällt in Stille‘, heute sagt er „nichts endet und alles klingt ewig“, und beides gilt. Der Dichter muss nichts beweisen; einziger Beweis ist das Pathoserlebnis.“ Nimmt man es ernst, also so, dass es nicht einen Vorbehalt gegen Dichtung ausdrückt, dann wird man auch Kundera unter dieses Diktum fallen lassen können. Er könnte also mit mir gemeinsam gut das Gegenteil davon gegen Dich vertreten. Es so zu wenden, kann wie eine nicht ganz faire Trickserei wirken. Warum? Eben weil er seine Haltung an unverbindlichen, schon irgendwie „lyrischen“ Sätzen klarmacht, während sein Gesamtaussage vom Bau einer Art von Sätzen angehört, die wir verbindlicher nehmen. Das ja gerade ist der Witz: „Nichts endet und alles klingt ewig“ ist eben so ein Satz, den man so oder so auf die Wirklichkeit beziehen kann, während es zwar um den Satz: „Alle Gegenstände fallen nach unten“ auch Streit geben könnte, dieser finge aber an ganz anderer Stelle an. Kundera wählt also schon von vornherein Sätze mit Klavkinatur um plausibel zu sein.Mit anderen Worten: Entweder man nimmt den Kunderasatz ernst, dann ist er kein Argument, oder Kundera meint mit Dichtung solche Texte, die mich (und z.B. auch Czernin) nicht sonderlich interessieren und verallgemeinert gröblich auf die ganze Dichtung. Dann ist es für mich kein Argument.
      Dann wäre der Unterschied der, ob man an das Pathos des Augenblicks glaubt oder nicht. Oder besser: Das weniger sondern eher: Was man an Werten des miteinander Umgehens, des sich aufeinander Abstimmens und aufeinander kommunikativ Beziehens für den Wert eines Pathos des Augenblicks aufzugeben bereit ist. Vulgo: Wieweit man sich von der Emphase einer emotionalen Rhetorik überzeugen lässt oder nicht. (Aus den auratischen Diskursen der Vergangenheit meine ich gelernt zu haben, dass auf sonderbare Weise tendenziell immer derjenigen Emphase mehr Geltung erlangte, die ohnehin einen höheren Sozialstatus hatten.)
      In Deine Text folgt eine kleine Provokation: „Irgendwie verständlich, dass Du dann nach Glaubwürdigkeitssignaturen Ausschau hältst, wenn Du Dich von Klavki nicht b e t r o f f e n fühlst – Du ahnst bereits: Dichter sind Schwätzer.“ Es ist also ausgemacht für Dich, wenn Du fühlst, jemand ist Dichter, dann ist er einer und wenn ich nichts fühle, dann …? Du hältst Dein Gefühl also irgendwie für das Indiz einer zwar noch nicht formulierten aber validen universalisierbaren Wertaussage? (Neinenein Du versuchts nur mit Gefühlsrethjorik wider mich anzugehen.)
      Es ist aber nicht so, dass Klavki mich kalt lässt und ich dann suchen gehe. Sondern wenn ich Klavki z.B. etwas übermüdet hören muss und mein Mitmensch ist begeistert und ich finde das Gesagte eher unangenehm, dann kann mich die Situation heftig b e t r o f f e n machen. Und dann erst gehe ich auf die Suche und versuche den Wahrnehmungsunterschied mit Signaturen der Glaubwürdigkeit und einer unterschiedlichen Meinung über deren Wert zu erklären. Also erst, wenn ich ihn nicht in Ruhe links liegen lassen kann.
      Da bin ich dann vielleicht ganz wo anders als dort: „Ein guter Text beherrscht die Kunst der Lesertäuschung; vielleicht sogar die Austreibung des Lesers aus dem Text.“ Eine Stelle übrigens die wieder von mir fordert, dass ich mir tausende Fragen beantwortet. Warum dieser Übergang zwischen den Teilsätzen, zusätzliches Warum: Warum der Heiner Müller Kontext des zweiten Teilsatzes? Das „sogar“ legt eine Klimax nahe, die dann nicht kommt. Ist das nun ein Meisterstück der Lesertäuschung? Es gibt doch schon so viel Scheinfolgerichtigkeit (selbst?) in wissenschaftlicher Literatur? Klavki häuft Grübelangebote, die dann oft ins Leere laufen. Das kann man tun, ich kann das auch. Was kann Klavki noch?
      „gute Literatur ist Gott sei Dank mehr als die erfolgreiche Anwendung von Sprachstrategien.“ Ob ich dem Satz zustimme oder ihn ablehne hängt daran, was Sprachstrategien sind. Üblich verstanden wäre der Satz zustimmenswert. Ich meine aber: Es ist sehr verbreitet einen sehr verengten Begriff von Sprache und ihren Strategien zu haben. Laufend ist es so: Erst treibt man durch Begriffsbestimmungen, Gewohnheiten des Nachdenkens, Vorurteile usw. der Sprache ihre Macht aus, und dann holt man sie in der Kunst scheinbar generös wieder hinein. Wenn man aber schon die Konstitution des Subjekts als aus Akten der Anrede erwachsen begreift, weiß man nicht, wie Buchstabensysteme oder Bühnenvorstellungen oder … oder … denn da noch drüber hinaus greifen sollen.
      „Wenn es öfter Studenten gibt, die zugeben, sich ihre Lieblingsautoren durch die Literaturwissenschaft versaut zu haben …“ machen sie etwas verkehrt. Entweder lassen sie sich Überreden von der ach so hochmögenden Litwiss. oder sie lasen den Lieblingsschriftsteller oberflächlich. Lesen verändert Lesen und das ist total unproblematisch. Ich habe mir nie jemanden versaut. Frühen Rilke lese ich einfach nicht mehr so oft. Aber versaut? Nein ich lese etwas anderes und Rilke ist ja nicht kaputt oder sowas. Da ist ja nichts zerstört, kein Wert verloren gegangen (allerhöchsten gibt es Zeiten, wo man nach der adäquaten Anschlusslektüre noch auf der Suche ist, aber da ist doch eher die Sorge, es gäbe nicht genug gute Bücher, aber meist gibt es die dann doch irgendwo.) und dann lese ich den frühen Rilke wieder und sehe, dass er dies und dies interesannt macht und lese ihn doch wieder, weil ich plötzlich anderes von ihm erwarte …
      „oder verliert man durch Zugewinn eines analytischen Blickes nicht auch einen Gutteil des alten Blicks?“ Ja man kann einen Teil des Blicks verlieren. Weil eben lesende Lebensformen bestimmte Lebensformen sind und wenn man eine Form des Lebens wählt, einem eine andere nicht mehr vollständig zugänglich ist. (Man muss sich entscheiden bzw. meist scheint die Entscheidung immer schon in der Vergangenheit gefallen zu sein.) Wie es einem eben auch als Bänker oder Fußballer passiert.
      PS: Und hier ist auch gesagt, dass ich nicht nur über den Wolkenhändler gesprochen habe, sondern soweit er in meinem Gedächtnis haftet auch bspw. dem Traumzeugen zugestehen würde: „Die Texte wollen nicht bedeuten, sondern eine Lebensform ausdrücken.“ (Wenn Du es nicht zugestehst, ist das eine andere Sache.) Wenn das nach dem ersten Kommentar vielleicht nicht ganz klar geworden ist, sollte ich vielleicht dazu sagen, dass „ausdrücken“ ja eben gerade meint, dass man dafür die Propositionen nicht ansehen darf, wie ich auch nicht dazu neige zu sagen, ein Schmerzensschrei enthalte die Proposition „Ich habe Schmerzen“.
      Grüße Bertram

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      • Wahrnehmungswahrheiten vs. lyrische Lügen?

        (Präscriptum O-Ton Jörg: „Oh, das wird ja eine richtige Abrechnung“)

        Lieber Bertram.

        Du hast mich per Mail angefragt, weshalb ich auf Deinen Kommentar zu Klavki nicht weiter reagiert habe. Ich kann es Dir sagen: weil er mich ein bisschen sauer gemacht hat. Ein Grund ist: Du liest zum Teil (absichtlich?) an dem vorbei, was ich sage, ein anderer: ich möchte ungern einen Wettstreit aus diesem Thema machen.
        Und: Kann man überhaupt jemanden argumentativ dazu bringen, seine Wahrnehmung zu verändern? Vielleicht ja. I c h kann es aber bestimmt nicht.
        Und darauf wollte mein Kommentar auch letztlich hinaus. Alles, was ich ernsthaft tun kann, ist zu sagen „Lies!“ „Lies noch einmal, bitte.“ „Lies genau hin.“ Alles andere ist in der Endsumme nur eine Wegbewegung vom Text (es sei denn, ein theoretisches Tor meinerseits könnte ernsthaft eine Lese-Motivation hervorrufen? K ö n n t e es das? )
        Außerdem fällt mir dazu die Zeile ein: „lumpenelite gegen erstarktes deutungsproletariat“, irgendwie kommt keiner gut dabei weg ; ) –
        Die Frage ist, was wir beide mit der Diskussion eigentlich wollen.

        Was Du tust, ist: meine ernst gemeinten Empfehlungen in Argumentationsfolien transformieren und diese dann nach ihrer Fehlbarkeit untersuchen, z.B. wie aussagekräftig sie in anderen Kontexten wären. Das zeugt sicher von einer gewissen rhetorischen Kompetenz, aber ich empfinde es auch als ein bisschen „hinterhältig“ (da Du gern mit Wörtern wie „verdächtig“ arbeitest). Mal abgesehen von der Scheinbeliebigkeit, die Du damit herstellst, die aber nicht gegeben ist. Bringt es uns irgendeinen Schritt weiter, wenn ich das allzu Offensichtliche nochmals mit Ausrufezeichen versehe, und explizit sage: „GZSZ muss man sich übrigens nicht zumuten.“?
        Du weißt doch, dass zwischen Klavki und GZSZ ein Unterschied bestehen wird (übrigens auch zwischen Stolterfoht und Heidegger), oder? z.B. Ich. Aber siehe: ich brauche das vielleicht gar nicht so ernst zu nehmen. Offenbar ist GZSZ bei Dir ein beliebtes Beispiel, um eine Banalität zu formulieren. Ich lese woanders: „Wenn ich die Episoden von GZSZ nicht als Allegorien für mein Dasein verwenden kann, habe ich die Serie dann nicht verstanden?“
        Ja, wer mag da schon widersprechen wollen. Nur „So, what?“

        Und überhaupt, ich will Dir doch nicht Deine Poetologie ausreden. Dass Du aber an Klavki gleich Deine gesamte Haltung gegenüber Literatur untersuchen wolltest, … das klingt schon sehr systemisch. So als „wüsstest“ Du langsam: „Texte, die so und so sind, sind gut, andere nicht.“ Mir gefällt diese Attitüde von Wahrnehmungsavantgarde nicht. (Wobei Du übrigens genau den selben Zweierschritt gehst, den Du mir unterstellst. Von „mir gefällt nicht“ zu „es ist nicht gut“)

        Seine Sentenzen sind semantische Gravitationsfelder. (Ja jetzt geht’s aber los!) Damit hast Du ein Rezeptionsproblem. Oook. Ich glaube, lebte er noch, er hätte ziemlich gern mit Dir gestritten („an der Versöhnung ist das beste der Streit“). Ihr habt schon sehr seeehr unterschiedliche Ansätze, was Literatur, ferner Kunst ist und sein sollte. Zu einigen Gegenwartsgedichten, vielleicht auch Deinen, würde er sagen: „Nett! Aber leider ein leeres Phantasieparadies.“ Und zu Deinen Einwänden: „Apostrophendenken!“… ?
        Im Vorwort Deiner Diplomarbeit zum Leipziger Literaturinstitut formulierst Du eine Skepsis gegen die Erwartungshaltung der Leser.

        „Schreiben ist schwierig, wenn Leser bestimmte seltsame Sachen von Texten erwarten, die mir als Schreiber und Leser nicht wichtig sind.“

        Was nun aber, wenn Dein Satz plötzlich auf Dich zurückfällt?
        Wenn wir in einer Diskussion um einen Text verstrickt sind, den ich recht gewöhnlich finde und Du interessant, kommst Du erstaunlich oft mit dem Argument: „man weiß erstmal nicht, was hier passiert“ oder „ich kenne mich in diesem Text nicht aus“. Ich glaube, ich teile an dieser Stelle die Beobachtung Deines Freundes Thomas Kunst, der in etwa meinte: „Bertram, Du musst einen Text immer erst zu einem experimentellen hochstilisieren, um ihn gut finden zu können“.
        Damit disqualifizierst Du Dich in meinen Augen aber zu genau einer solchen Art Leser, wie Du sie für Deine Texte(wenn auch umgedreht) ungern gehabt hast: die, mit einer „bestimmten seltsamen“ Erwartungshaltung.

        Du schreibst: „Ja Du hast recht, der Satz „Die frühen (späten, anderen) Alben sind die Besten“ ist nach meiner Erfahrung wenig überzeugend.“ Selbst, w e n n ich diesen Satz geschrieben hätte, wäre es ein gutes Argument gegen Dich, gibst Du ja selbst in Deinem Kommentar zu, Klavkis Art zu schreiben, habest Du „bei vielen Zwanzigern bis Dreißigern, die später anders schrieben, gelesen. Sie waren nach und nach davon abgekommen“. Ja selbst Dein eigenes Schreiben hätte sich und so weiter und so fort. Ja was denn nun, Bertram? Hü oder hott?

        Rumminum. Ich habe eigentlich gesagt: „Du hast ihn zu wenig gelesen, um ihn richtig ablehnen zu können.“ Siehe oben: Ich meine schlicht auch Rezeptions-W i e d e r h o l u n g. Wenn selbst sein Lektor auf einer öffentlichen Hommage zugeben musste: „irgendwann wurde es zu viel und ich konnte es nicht mehr begreifen und habe es dann erstmal gelassen weiterzulesen“, ist die Art der Zumutung hier also tatsächlich eine andere aber nichtsdestoweniger g e g e b e n. Es ist ersteinmal zu viel. Damit muss man erstmal umgehen. Dass, was Du „Intensitätsrhetorik“ nennst, die Dich eher „überwältigt als überzeugt“ empfinde ich nun im Gegenteil als berauschend und beglückend. In dieser Ballung der Knaller liegt für mich der besondere Suchtcharakter. Das habe ich so übrigens nur bei ganz wenigen Autoren erlebt. Zeige mir mal einen Text, der das selbe bei m i r leisten kann!

        Du kannst Deine „manches trifft mich vorbereiteter“-Leseerfahrung vielleicht noch gegen mich als Argument ausspielen, weil ich jung bin, nicht aber gegen andere mindestens ebenso belesene Klavkifans, die ‚noch reicher sind an Jahren‘, deswegen halte ich das für einen misslungenen Versuch der Gegenüberstellung.

        So weit so schlecht.

        Nachdem Du mir gegenüber einen Text, der mich von der Spreche her an zig andere meiner Meinung nach gleichartige (nicht –wertige) erinnert hat, ungefähr verteidigt hast mit den Worten: „Im Prinzip schon, aber die Frage ist: was macht dieser anders als die?“, müsste ich Dich natürlich zwangsläufig um jene Referenztexte bitten, von denen Du behauptest, Klavki schriebe so ähnlich und dann könnte ich Dir vielleicht erläutern, was er entschieden „anders“ bzw. „besser macht“.
        Der trickreiche Clou ist an dieser Stelle von Dir, dass Du von mir abverlangst, Klavki gegenüber ähnlich gestalteten Texten hervorzuheben, obwohl doch eigentlich von uns beiden DU derjenige bist, der behauptet, dass seine Schreibe ähnlich wäre. Gehe ich also auf Dein gönnerhaftes Angebot ein, gestehe ich Dir implizit zu, Recht zu haben.

        Nun will ich aber auch nicht behaupten, überhaupt nicht zu wissen, wovon die Rede ist, wenn Du von Klavkis Marotten sprichst (das disqualifizierte nun wiederum mich als Leser).

        Schnell also einen Textauszug hervorgekramt, der an Klavki erinnern mag. Er stammt von einer vielleicht noch etwas ungelenken Literaturbloggerin namens Sophia Mandelbaum (oder Dana Buchzik), die auf Litblogs geführt wird und die ich eine Weile mit Wohlwollen gelesen hatte, bis mir aufging, dass sie ihre Texte immer nach dem selben Schema F baut. Ich hatte Dir von ihr erzählt, dass ich erst dachte, sie wäre Johanna Schwedes (vor allem der Ähnlichkeit des Gesichtes wegen, Du brauchst also nicht auf Spurensuche gehen). Ihr Satz „Darf ich Dir das Wir anbieten“, hatte Dich beeindruckt:

        „Die Normalen, mit ihren beruhigenden Frisuren, die ein Leben ohne Mobiltelefon für kompliziert halten, die für einen Strauß Blumen vier Wochen Rückgaberecht erwarten, die Normalen, die glücklich vor sich hin leben wollen, für eine bessere Statistik. Die Normalen, die ihren Kick durch Reflexion bekommen, aber verdammt noch mal, Alufolie reflektiert auch. Am stumpfsinnigsten ist es, etwas Sinnvolles tun zu wollen. Hat das Leben uns überstimmt, Tove? Reichen unsere Fünf-Minuten-Fluchten nicht mehr, die Zigarette nicht, der immer zu bittere Kaffee nicht, die Fünf-Minuten-Illusion, nur juristisch erwachsen zu sein? Hast du die Suche nach nostalgischen Metaphern für Musik durch Interpretennamen ersetzt, hast du das erste Auto gekauft, die erste Wohnung gemietet?
        Hast du festgestellt, dass Reisen nicht mehr reicht, um Erinnerungen zu produzieren, und dass der Alltag schweres Handwerk ist? Der Pflichtteil heißt Träumen, Tove, und vielleicht bist du ein Versager geworden, aufgeschwemmt im bodenständigen Gefühl volljähriger Sätze. Versagen heißt, deine Traurigkeit nicht mehr zu brauchen, versagen heißt, dass alles an seinem Platz ist. Versagen heißt, dass dir die Worte ausgehen. Es gibt Wichtigeres als das Schreiben, sonst gäbe es nichts, worüber man schreiben kann, eines Tages, nicht heute. Ich schreibe nicht mehr. Das hier ist nur die Einleitung zu einem Brief an dich, Tove, eine Einleitung, mit der du mich finden kannst. Wenn du es willst.“
        (Quelle: http://sophiamandelbaum.de/post/6722372623)

        Wir haben einiges hier drin, was Du Klavki unterstellst. Zunächst natürlich: „Oft scheint mir bei Klavki ein untriviales Leben abgegrenzt von einem trivialen, das andere Leute führen.“ Und Sätze wie: „Am Stumpfsinnigsten ist es, etwas Sinnvolles tun zu wollen“ oder „Reisen reicht [nicht] mehr, um Erinnerungen zu produzieren“, sind geradezu klassische Beispiele für den sentenzartigen Schreibstil, der Dir verdächtig erscheint.
        Ist das deswegen die gleiche Schreibe? Nein. Dieser Text leistet kaum mehr, als das Gefühl von Wehleidigkeit auszutapezieren, mit ein paar netten Einfällen garniert, zugegeben.
        Hier mal ein Klavki Textauszug aus „Im Cafe 1“:

        „Blick durchs Fenster: das unbenutzte Draußen. Braunlaubverbranntes grüßt schnupfenfreundlich. Südvogelflugshastet die Jahreszeit. Farbenlehrengetreu gräut der Sonnendocht die naturgrüne Dauerreklame. Drinnen: offene Münder als Nebenzimmer des Lebens. Worte wie Ikarusflügel. Welt. Welt? W E L T ??? UNAUSGELEBT ist all das Lebendige! Es ist, als zeichne man ein Gesicht und begänne mit den Pickeln. Jeder hier meint, er sei mittendrin und doch schauen alle nur zu, sitzen stierend nachmittags im Cafe als ob sie schon fernsehen, verorten ihre Zeit zwischen war und wird,
        betonträumerisch verdiesseitst, herzgehobelte Selbstpardonisierer, Sitzriesen und Zeitverzettler, ewig ablaufend Tag, ewig einschwebend Nacht, – aber sämtlich fähig, eine abstrakte Kleinplastik notfalls als Flaschenöffner zu verwenden. Es sodummt und gomorrat. In Schlachtlinienspalier trinken sie den letzten Schluck unvermuteter Menschlichkeit, lachen sich an die Weltoberfläche, sappeln wie schlecht synchronisiert ihre Beliebigkeitsworte, die durch andere gleich beliebige ersetzbar sind. Geburtstagsgesellschaft. Kerkervogtisch handstillt die bereits faltenbecremte das abonnierte Aufgebot und anstandswauwaut bluthündisch brav und bieder ihre pflichtöden Honigwortkonserven. […] Und mir wird am Ende klar: diese Leute brauchen mehr als nur Glück.“

        Also das geht doch wirklich bäm bäm bäm, oder? ; ) Ich mein, da geht jemand ab, das spürt man. Besonders beim Zuhören (für Klavki ist Mündlichkeit ja wichtig). Ich sage ja nicht, dass es für jede Stimmung geeignet ist. Aber hier sind keineswegs „Grübelangebote“ zu finden, die „ins Leere laufen“. Es ist – im Gegenteil – sehr konkret und präzise.
        Was hier schön zu beobachten ist: wenn Klavki eine Sentenz bringt, dann meistens als Entlastung nach einer gnadenlosen Abfolge von bis an den Rand der eigenen Reizschwelle treibenden Bilderfluten, als pointierendes Resümee. Er spielt mit Geschwindigkeiten. Natürlich erhebt die Übertreibung bei ihm Anspruch
        auf Vollständigkeit. Wenn schon, denn schon. Es gibt nur Übertreibungsversuche und gescheiterte Übertreibungsversuche.
        Klavki ist geradezu ein Rasender, wenn es um Benennung geht. Man sieht seinen Texten an, dass er jede Situation, Handlung, Gegenstand zu bezeichnen versucht. Er wird es auch nicht müde. Deswegen auch die Häufung der Beiwörter, die man ja, was Klavki sehr wohl weiß, für gute Lesbarkeit eher sparsamer einsetzen sollte. Er macht es trotzdem. Klavkis Ziel ist also keineswegs vordergründig, leicht zugänglich und leserlich zu sein. Im Gegenteil, er plädiert ja für eine konkretere gesprochene Sprache. Es gibt ein kurzes Hörstück, das zählt Wörter auf und beginnt mit dem Satz: „Für alle germanistischen Besserwisser, die ständig behaupten, die Sprache sei beschränkt.“
        Eines seiner Projekte war also ganz klar: „Erweitern wir die Wörterbücher!“ – eine Gesinnung, die ich für eine angenehme Dichtereigenschaft halte. Oder um zur Fachsprache zu greifen. Seine Texte weisen sich häufig durch eine Type-Token-Relation aus, die einen besonders großen und vielfältigen Wortschatz nahelegt.

        Für mich sind Grübelangebote, die „eigentlich“ ins Leere laufen eher Sachen wie „Zwischenlösung / Teile für Zeile // Poesie wird vorbereitet / spielt Roulette“ – hier wird etwas zusammengestellt, bei dem der Leser dann vollständig die Denkarbeit zu übernehmen hat. Was ich keineswegs für schlecht halte. Das ist es doch gerade, was Dichtung für mich als Leser leistet: neue Assoziationsräume zu schaffen und Bilder in meinem Kopf, die keiner malen kann. Poesiephilie ist für mich unter anderem die Liebe zum nie Gedachten, die Liebe zum nie Gesehenen, die Liebe zum nie Gehörten. Denn nochmal: „Diese – unsere – Welt benötigt doch wirklich nicht mehr als tausend Worte um vermessen zu werden.“

        Übrigens halte ich das Vergleichen von solchen Texten für einen etwas uncharmanten Weg, jemanden aufzuwerten. Er unterstellt, dass ein Text nur gemessen an anderen seine Wertigkeit beweisen kann und behält. Womit wir bei Platon und der Bibel wären.
        Du sagst mir, vieles, was Du jetzt bei Platon liest, kennst Du aus der christlichen Tradition (gerade so als käme er Dir deswegen redundant vor „das kenn ich ja schoooon“) und ich entgegne: ja und wozu brauche ich dann die, wenn es schon bei Platon steht? Zumal die Frage der Reihenfolge und „wer hat was übernommen“ hier doch wohl eine eindeutige ist.

        Will sagen: was kann Klavki denn für Deine „Leseerfahrung“? Die macht ihn nicht besser oder schlechter, sondern höchstens für Dich ganz speziell uninteressanter.

        Wir hatten schon das Thema. Von dem Satz „Literatur nimmt die Wirklichkeit vorweg“ sind wir gekommen zu „Literatur nimmt Literatur vorweg.“

        Fortsetzung folgt –

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      • – okeeh, wie man unschwer erkennt, war ich gestern recht hitzig. „Verzeihen Sie mir meine Leidenschaft. Ich hätte Ihnen die Ihre auch gerne verziehen.“

        Dann fahre ich heute mal lieber ruhigere Gewässer:

        Ich glaube, ein Übergang zwischen Deinem Beitrag und meinem Kommentar ist nicht ganz klar gewesen. Also Bertram, ich habe mich vor allem an Deinem Begriff der Glaubwürdigkeit aufgehängt.

        Ich assoziiere gleich drei Dinge damit:
        – Jemand meint es nicht ernst
        – Jemand/ein Text ist nicht überzeugend
        – Jemand sagt nicht die „Wahrheit“

        Das oberste lese ich gleich aus Deinen ersten Sätzen wie „Es gelang ihm, glaubt man seinen Fans, eine konsistente Selbstinszinierung in diese Richtung herzustellen.“ – natürlich regt sich da bei mir sofort Widerspruch. Klavki hatte Krebs und hat das thematisiert bis zum Tod. (Andere bekommen ja auch für ihre Krebstagebücher Geld, oder Heiner Müller zum Beispiel für seine Krankenhauserfahrung) Das, was ich also als existenzialistisches Moment in seinen Texten begreifen würde, ist sicher nur zum Teil durch Sprachstrategien hergestellt worden. Das war keine „ich sterbe bald“-Inszenierung. Das war, wenn man es ganz platt formulieren möchte, „echt“.
        Macht ihn das zum Helden? Nein. Aber es verändert vielleicht einen Zugang zur Kunst, wenn man sie nicht nur um ihrer selbst willen, Poesie-Pure –pedantisch betreibt, sondern vielleicht gar mit einem – Achtung Schimpfwort – Appell. Leider formulierst Du nicht „Appell“, sondern wertest um ins pejorativ anmutende „predigend“.

        Das zweite bezieht sich auf sprachtheoretische Überlegungen. Unter welchen Umständen funktioniert ein Text für mich z.B. in dem Sinne, dass ich ihm die Arbeit nicht mehr ansehe, dass ich vergesse, er ist gemacht worden, aber auch andererseits: was macht, dass er die poetische Erregung auslöst, von der Valery zum Beispiel in seinem Aufsatz „Rede über die Dichtkunst“ schreibt. Nun, da sind wir wohl einfach verschiedener Ansicht oder unterschiedlich erfahren. Ich schreibe hier jetzt nicht weiter.

        Das dritte ist für mich eine Kernfrage innerhalb der Literatur: Ist „Wahrheit“ wichtig? Natürlich zitiere ich gern Celan mit seiner Wahrheit, die unter die Menschen tritt, mitten hinein ins Metapherngestöber – aber selbst hier lese ich heraus, dass es sich eher um eine Art Nebeneffekt handelt, bei der Praxis einer ganz anders ausgerichteten Tätigkeit.
        Ich zitiere auch immer gern einen Freund, der sagt: „Ich finde keine spannende Formulierung für die Wahrheit“ und so weiter und so fort. Das heißt also, wenn jemand einen Autor auf dieser Schiene angreifen würde, ist das für mich überhaupt GARkein Argument g e g e n ihn.

        Deswegen das Kundera-Zitat. Deswegen das Walser-Zitat. Ich halte es weder für wesentlich, dass ein Dichter etwas Wahres sagt (viel wichtiger ist mir also eher die „poetische Erregung“ oder das „Pathoserlebnis“), noch für relevant in Bezug auf Formulierungskünste. Du kannst ohne weiteres eine Sentenz herstellen, die wahr klingt – aber wie leicht kannst du eine Sentenz herstellen, die Dich „betroffen macht“? Dein Arguement lautet, Klavki würde mehr oder weniger jene ersten Sentenzen formulieren (also sie klingen bloß wahr, machen Dich aber nicht betroffen, laufen ins Leere) – mir geht es genau andersherum. Und das ist nicht negativ gemeint. (Manchmal sind mir ja auch die Sophisten lieber als die Philosophen.)

        Ich habe die Technik des Lügens lange Zeit für eine unverzichtbare Autorenfähigkeit gehalten. Baudolino und so weiter. Lügen heißt: erfinderisch sein PLUS überzeugend sein. Na, wenn man das nicht hat…, was will man dann noch im Schreibberuf?

        Vor ein paar Monaten daher also der kleine Test an Dich: wie rekonstruierst/bastelst Du aus Situationsfetzen und Begriffen, die ich Dir liefere, eine amüsante oder zumindest in sich kohärente Geschichte?
        – seit dem behauptest Du immer etwas schelmisch und patzig zugleich, ich würde Dich für keinen kreativen Dichter halten –

        und das stimmt ja auch in gewisser Hinsicht ABER nach einiger Zeit ging mir auf, dass die prosaische Lüge anders funktioniert als die lyrische Lüge. Du stellst Glaubwürdigkeit durch ganz andere Techniken her und sie funktioniert, aber eben auf Gedichtebene.
        Hier sehe ich zum Beispiel Gründe dafür, weshalb mir Deine Dichtung gefällt, Deine Prosa nicht.

        Äh, wo war ich?

        Achja. Wenn wir uns über Klavki unterhalten haben, dann zumindest bis jetzt meist über seine Prosatexte. Würdest Du mir zustimmen? Dennoch sind seine Texte, so würde ich behaupten eher ‘ne Art Zwischengattung, sowas wie poetische Prosa oder so. ; ) Das heißt, man kann mehr schlecht als recht gängige Ansichten über Prosa oder eine theoretische Dichterschule auf ihn anwenden, er entzieht sich jeweils ein bisschen in den anderen Bereich. Behaupte ich jetzt einfach mal so. Wer will mir das verargen?
        – Und mit diesem völlig offenen und unzufriedenstellenden Gedanken ende ich jetzt, denn ich habe noch Husserls Geistige Welt zu ergründen. : )

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