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Freilich war es neben den Göttern nicht zuletzt auch der Dichter Gleim, der diesem Geist sich zu entfalten verhalf: Von ihm stammt die markante Bezeichnung „deutsche Sappho“, und aufgrund der Beziehung zu ihm entstand der Hauptstrang des Karschen Werks.
Die Herausgeberin Regina Nörtemann, der wir schon die dreibändige Ausgabe des lyrischen Werks Gertud Kolmars verdanken, hat sich nun dieser Liebesgedichte der „deutschen Sappho“ angenommen, sie den Archiven entrissen und erstmals in einem sorgfältig komponierten und kommentierten Band zusammengefasst. Es sind originelle Texte darunter, etwa jener Gesang „an die Spatzen“ („Ihr schweigt noch nicht mit dem Geschwätze?/ Auf, eilt, daß sich ein ganzes Chor/ Von Euch, vor Thyrsis fenster setze;/ Da schwatzt ihm Liebe vor!“), und es finden sich Passagen von großer Kraft und Sinnlichkeit: „Deinen Anblick kann ich nicht ertragen,/ Wie den Blitz, in heißen Erntetagen,/ Fühl´ ich ihn mir durch die Seele gehen!“ Natürlich taucht daneben das gesamte lyrische Repertoire jener Epoche auf, allerlei Ingredienzen, die man heute allzu schnell als Rokokokoketterien, ja als Rokokokokolores abzutun bereit ist: Beschwörungen der alten Götter Zeus, Venus und Amor fehlen ebensowenig wie Nachtigallen und Seufzer, Rosenlippen und schmerzende Busen, Schäfer und „ganze Ströme Zähren“.
All das lässt aber nicht den durchaus eigenen Ton überhören, erst recht nicht die unbändigen Wendungen, auf die man immer wieder stößt; einmal ist vom „sich turteltäubisch grämen“ die Rede, anderswo heißt es „ich knirschte vor Verdrusse“: Das ist so einprägsam, dass man als Leser selber mit den Zähnen zu mahlen beginnt. Aufregender als so manche Verse ist trotzdem die Geschichte ihrer Entstehung – und die ihrer Redaktion durch Gleim, die in diesem Buch dokumentiert wird. / Jan Wagner, FR 27.8.
Anna Louisa Karsch in L&Poe:
2009 Jun #66. In Bienen
2009 Aug #29. „Sapphische Lieder“ der Karschin sind Buch des Monats
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