Alles im Lot. Kunst

Bertram Reinecke

(Leipzig)

Verstimmte Sestinen

Alles im Lot. Kunst
Nutzt als Show, denn
In sich ruht wer hat. Lohnt
Stolz? Wird dadurch Mehr-
Wert? – Wohl nur im Wahn!
Lass Lessing doch ruhn!

Klagen ist Tortur
Kunst war so schlecht nie
Die Kunst geht nach Brot?
Oh, ich lach. Kunst strebt
Sehr hoch. Und sie fragt
Nach mehr: Will och die Wurscht.

Aus: Bertram Reinecke, Daphne, ich bin wütend. Gedichte. Leipzig: Poetenladen, 2024, S. 79

Wer nach mehr fragt, findet es im Buch. Mehr Gedichte sowieso, aber auch einen Anhang mit Erklärungen zu den Gedichten, einem Essay des Autors „zur Poetik und dem Gespräch darüber“ und einem Nach-Wort des Mitherausgebers der „Reihe Neue Lyrik“, Jan Kuhlbrodt. Wie sagt Goethe, ich zitiere verkürzt: den Gehalt sieht jederman vor sich, die Form bleibt ein Geheimnis den meisten. Bei diesem kurzen Gedicht, aus kurzen Zeilen von meist fünf Silben, genauer eine mehr als zwölf mal 5, und überwiegend einsilbigen Wörtern, kann man vielleicht selbst auf seine formalen (?) Tricks kommen. Lass Lessing doch ruhn!

11 Comments on “Alles im Lot. Kunst

  1. Interessant ist der KI-Assistent von WordPress. Fast täglich verlangt er mehr Interpretation oder Kontextinformation bei mir (selbst bei Gedichten, die sich von selbst zu verstehen scheinen). Dieser Vokalsestine (ich habe das Wort im Beitrag weggelassen) bescheinigt „er“ starkes Gefühl und fordert mehr Interpretation, um die Leser zu „führen“: „The content appears to be in German. The poem conveys a strong sentiment, but the meaning might benefit from further exposition for the reader’s understanding. Providing additional context or explanation, either within the poem or in a separate section, could enhance the reader’s experience and interpretation. Consider adding some analysis or commentary to guide the reader through the themes and emotions present in the poem.“
    (In German ist es auf jeden Fall, da bin ich mit der Künstlichen Intelligenz einer Meinung.)

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  2. Guten Abend Herr Kloetzer,
    mich wiederum würde natürlich interessieren, was „so etwas“ ist, was Ihrer Meinung nach diesem Gedicht widerfahren ist (durch Theorie?) und was dergestalt ist, dass Sie es lieber meiden. (Denn dass zumindest dieses Gedicht so etwas hat, diese Aussage trafen Sie ja im Indikativ.)

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    • Es ist wahrscheinlich eine neue Form. Ein Gedicht, dass sich nicht damit belastet lyrisch sein zu müssen;-)

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      • Aber wer definiert, was lyrisch ist? Hätte Goethe, sagen wir Celan oder Jandl als lyrisch akzeptiert? Er hatte ja schon Probleme mit dem von den Romantikern neu eingedeutschten Sonett. Zu seelenlos, zu technisch. Aber nur kurze Zeit, dann hat er selbst welche geschrieben. Als um 1900 die ersten Anthologien japanischer Lyrik in Deutschland erschienen, hat man die kürzeste Form, den Haiku, ausgeschlossen. „Poesielose Wortspiele“, „Kalauer“, sagt der Herausgeber K. Florentz. Wir wissen, dass sich das geändert hat. Ich kann immer akzeptieren, wenn jemand sagt, das gefällt mir nicht oder das sagt mir nichts. Aber „unlyrisch“ ist immer heikel. Mögen Sie präzisieren, was genau an diesem Gedicht für Sie „nicht lyrisch“ ist?

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      • Ich habe in der Tat Lyrismen eher meiden wollen. Aber auch eher lakonische Texte gibt es in der Lyrik ja nicht erst gestern … Man muss nicht immer Brecht oder Heine nennen, sondern kann zurückgehen (Mindestens) bis Geibel oder namentlich Lessing. Was neue Formen betrifft, da hat Michael ja schon einiges zu gesagt: Wenn sie neu sind (oder auch außer Gebrauch gekommen) wirken sie immer etwas arbiträr, hat man sie sich familiär gemacht, dann ändert sich der Eindruck. (Von dieser speziellen Form gibt es im Band 2 Texte, der andere hat teils die von Ihnen bevorzugten „lyrischen“ Töne. Ich denke nicht, dass es gut ist DichterInnen dadurch hinterrücks auf geläufige Foren zu verpflichten, dass man ihnen noch unerkannte oder theoretisch scheinende Modelle versagt. (Anagramme hielt ich z.B. für eine reine Spielerei, bis ich Unica Zürn und Titus Meyer las.)

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  3. So etwas passiert, wenn der Theoretiker dem Lyriker dreinquatscht. Sollte dies repräsentativ für den Band stehen, dann gilt das Zitat von Bartleby: „I would prefer not to“.

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    • Mit Verlaub, der Gedanke, ein einzelnes Gedicht müsse etwas repräsentieren – den Autor, den Band, einen Geist oder was immer – ist doch unterste Schublade Kulturjournalismus in Provinzzeitungen. Sie müssen das Gedicht nicht mögen, aber für ein Urteil über ein Buch könnte man es zumindest lesen. Dann gibt es die üblichen Varianten. Man kann die Gedichte ohne das Nachwort und die Anmerkungen lesen, oder das Nachwort zwischendurch oder hinterher, oder gar zuerst, kann ein ganzes Buch lesen oder Rosinen rauspieken. Wenn man das Nachwort liest, wird man merken, dass es auf landläufige Argumente im Gespräch über Gedichte (wie eben das, der Theoretiker hätte dem Lyriker reingequatscht oder das Nachdenken über (oder Wissen um) Methoden oder Formen sei dem Schreiben oder Lesen von Gedichten abträglich, ausführlich eingeht.

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      • Sie haben wahrscheinlich den Konjunktiv überlesen: „Sollte“. Das hier jedoch direkt mit der Panzerfaust geschossen wird, stimmt mich, was die Diskussionskultur in einer „lyrikzeitung“ betrifft, sehr nachdenklich.

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      • Wie Sie meinen. Nachdenken kann eh nicht schaden. Welche Modalität auch immer, ich wende mich gegen reflexhafte Abwehr irgendwie vermuteter Anwendung von Vernunft („Der Lyriker braucht die Vernunft nicht zu fürchten“. Sie wissen es, Brecht), nennen Sie es Theorie oder Kriterien oder was immer, bei Gedichten. Ich hätte es nicht von Ihnen erwartet. Deshalb vielleicht mein heftiger Ton. Ihre Aussagen über oder aus Anlass das Gedichts waren auch nicht direkt zartfühlend. – Ich glaube übrigens nicht, dass es das kleine Gedicht ist, das Sie zu Ihrer Reaktion provoziert hat. Es ist ja immer so, dass nicht jedem oder jeder jedes Gedicht gefällt. Kann man achselzuckend ignorieren oder bei Gelegenheit rauszufinden versuchen, woran es liegt. Ich gehe davon aus, dass es mein Hinweis auf den Essay und die Anmerkungen des Autors zu den Gedichten war, auf den Sie reagieren. (Als wären wir beide nicht seit Jahrzehnten damit beschäftigt, Gedichte zu „erklären“ oder anzupreisen.)

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      • Bereits zum 2. Mal Unterstellungen. Wahrscheinlich haben Sie recht, ich habe von Lyrik keine Ahnung. Ich bin ein Amateur, weil in dem Wort Amateur das Wort Amour steckt.

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      • Ich habe das weder gesagt noch gemeint, wenn Sie noch mal hinsehen, habe ich das Gegenteil gesagt. Also warum unterstellen Sie das?

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