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Wassyl Stus
(ukrainisch Василь Семенович Стус, * 8. Januar 1938 in Rachniwka, Oblast Winnyzja; † 4. September 1985 im Straflager Kutschino, Oblast Perm – die Behörden nahmen sogar noch die Leiche in Haft.)
Verstummt ist die Quelle des Herzens. Der dunkle Brunnen trocken und seicht. Schmerz durchzieht die Seele! Wie langsam schreitet die Zeit! 5 Ein Vogel flattert in hundert Richtungen umher – er kreist und kreist und zieht davon. Wen mag er suchen? Deinen Schrei, dein Entsetzen, deinen Schmerz? Wo bist du nur, du Helles Wasser, 10 in dem die stillen Sterne blinkten, in dem die weißen Wolken als Schatten glitten dahin? Verstumme Elend, Sehnsucht halt ein. Denn versiegt 15 ist die Quelle des Herzens. Der Brunnen ist seicht. Die Sprossen der Weide wachsen schreiend ganz heiß empor.
Deutsch von Deutsch von Anna-Halja Horbatsch, aus: Reich mir die steinerne Laute. Ukrainische Lyrik des 20. Jahrhunderts. Deutsch-Ukrainische Edition Lyrik. Auswahl und Einführung Jurij Andruchowycz. Reichelsheim: Brodina, 1996, S. 67
Ущухло серця джерело. Криниця тьмяна обміліла, І висхла. Як душа зболіла! Як час ступає спроквола. В сто летів розметався птах – Покружеляє – кружеляє І відлетить. Кого шукає Той птах – твій крик, твій біль, твій жах? Де ти єси, Ясна водо, де тихі зорі полоскались, Де білі хмари тінню брались. Німій, бідо моя, жадо Моя, бо серця джерело вже обміліло. Обміліла Криниця. І верба пустила Гарячі брості – в крик. Зело.
Anmerkung zur Übersetzung: Vermutlich ist die Übersetzung etwas verblümter als das Original. Mein rudimentäres Ukrainisch sagt mir ungefähr, Kommentar zu einzelnen Stellen (Zeilenangaben nach der deutschen Fassung, die etwas länger als das Original ist): 1 Die Quelle des Herzens ist versiegt (die Formulierung kommt später wieder, 14f: denn die Quelle meines Herzens ist versiegt.). 3: Wie krank die Seele ist! 9: Wo bist du, Klares Wasser? (Adjektiv großgeschrieben – Zitat?) Mein Ukrainisch ist wirklich noch nicht gut genug, ich frage nur und kann mich leicht irren.
Das Original hat 17 Zeilen, das sollte man an der deutschen Version besser merken.
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ja, die Übersetzerin braucht oft mehr Zeilen
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Nein, am Anfang steht auch im Original etwas wie verstummt. Es ist ein anderes Verb als in Zeile 14. Ущухло googeln, dann kommt als Erstes ущуха́ти «затихати, замовкати, припинятися». Also verstummen.
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Habe im Wörterbuch nachgeschlagen: ущуха́ти heißt u.a. Absterben, v. v. absterben, n. Absterben, abklingen. Der Wind ließ langsam nach. Kotl. En. iv. 8. Die Kinder haben sich beruhigt, schreien nicht mehr. Schwan. y. Der Lärm hat sich ein wenig gelegt. K. CHR. 335. Das Meer ist ruhig. Reihe. 374. Also meiner Meinung nach kein Grund für die Metapher „die Quelle ist verstummt“, wenn nachlassen, sich beruhigen aufhören gemeint ist
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Ist mir egal. Die Verzweiflung ist auch so hinreichend erkennbar. Und schöne Lyrik ist es für mich auch so, wie ich es jetzt vorfinde. Wer schon welche ins Deutsche übersetzten Gedichte nicht eigentlich etwas anders lauten müssten?! … Alles gut! Und ich werde garantiert kein Ukrainisch lernen, um das zu überprüfen. Vielleicht in 1000 Jahren. Zu was auch? So viel Zeit habe ich nicht.. ist das ihr Hobby? Oder Notwendigkeit?
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Andersrum wird ein Schuh draus: ich lerne ja nicht Ukrainisch, um das zu überprüfen, ich kann es teilweise überprüfen, weil ich Ukrainisch lerne. Notwendig ist das nicht, da ich in Deutschland lebe, aber es schadet auch nicht und vielleicht kann es nützen.
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Das Überprüfen bezog sich ja nur auf mich persönlich, und nicht auf Sie. Und eine neue Sprache zu lernen, ist immer ein Gewinn. Das ist unbestreitbar.
Es kann ja immerhin sein, dass sie das beruflich betreiben. Es kann auch sein, dass Sie seit dem gruseligen Geschehen in der Ukraine Kontakt aufgenommen haben zu Menschen von dort und deswegen diese Sprache zu lernen versuchen, um eine befriedigende Kommunikation hinreichend zu gewährleisten.. Nur ich persönlich habe da keinerlei Ambitionen. Diese Zeit und Kraft habe ich nicht mehr. Wir waren selber viele Jahre in der Flüchtlingsarbeit tätig, haben uns mit Ämtern und Einrichtungen gestritten und haben Deutsch-Unterricht gegeben sowie sogar zwei Berufsausbildungen (Promotionen und Approbation so wie ein Handwerk) erfolgreich begleitet.
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Seit ich nicht mehr im Beruf bin, lerne ich wie besessen Sprachen, immer mehrere gleichzeitig, und genieße es. Ich wünschte, ich hätte früher die Zeit gehabt oder mir genommen.
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