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Veröffentlicht am 25. August 2021 von lyrikzeitung
Ferenc Juhász
(Bia, 16. August 1928 – Budapest, 2. Dezember 2015)
verspätete nachricht
ich las deine verse wieder, mein freund.
über manche zeile dachte ich lange nach,
aufmerksam blätterte ich in deinen büchern.
von tränen verschmiert – soll ich es leugnen? – ward dein name.
ich sortierte nicht mehr (wie bei der herbstmusterung
die rekruten): dies ist stark, jenes schwach;
ich betrachtete das verstockte heer der buchstaben,
dein andenken, mein freund.
der saure verstand öffnet hier uralte flöze,
der zweifei erhebt sich, rasselt mit seinen aasflügeln:
er will unser geheimnis wissen.
wie der arzt auf rembrandts bild den sezierten
zeigst du uns die enthäutete weit.
wer weiß schon, wie viele tage, dumpfe fleißige nächte
du brauchtest, um zu begreifen, was du nun erklärst?
gebeugt über den leib, das bunte gekröse,
neben einem stinkenden öllicht, im keller, im stillen,
hast du traurig erforscht,
was versteckt ist im sprachlosen lehm.
es gibt dies also, wir sehen es, weil du es so wolltest;
aber bedeutet es hilfe und heilung?
es war nicht deine art, unsere schuld zu verhehlen;
aber heißt das schon erneuerung?
besitzt du Worte, in denen wir zuhause sind,
reine worte, für alle Verwünschungen geeignet?
Aus: Ferenc Juhász, Gedichte. Aus dem Ungarischen von Paul Kruntorad, Martha und István Szépfalusi. Franmkfurt/Main: Suhrkamp, 1966, S. 34
Kategorie: Ungarisch, UngarnSchlagworte: Ferenc Juhász, Paul Kruntorad
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