Renaissance? Über Gelaber und Lyrik

Junge deutsche Dichter werden auf einmal gefeiert und geehrt. Das bereitet ihnen nicht nur Freude. Über die Renaissance der Lyrik in Zeiten des Gelabers.

schreibt Hilmar Klute in der Süddeutschen Zeitung. Renaissance, naja. In diesem Hype feiert vor allem der Literaturbetrieb sich selbst als das einzig Wahre. Die Lyrik, meine Herrn und Damen, war immer da, Kook und Engeler & Co. präsentierten seit über 20 Jahren neue Texte neuer Autoren. Wiedergeburt? Nicht die Lyrik und nicht das Gelaber, das ist auch immer da.

Bis dahin standen Gedichtbände im kleinsten Regal der Buchläden,

Ah, und das ist jetzt anders? Gibt es Untersuchungen über das Anwachsen der Lyrikregale? Der Lyrikkäufe? Oder schreiben das alle ab, seit eine Jury vor einem Jahr einen geplanten Überraschungscoup landete?

und man traute ihnen eigentlich schon lange nicht mehr zu,

man? Mann, Mann!

dass sie uns etwas Neues zu erzählen vermöchten über unsere sich so irre schnell verändernde Welt …

Auch Klutes Text ist nicht frei von Ressentiment und Gelaber. Unkommentierte Zitate:

Es sieht auf einmal so aus, als hätten Gedichte in diesem Land wieder einen Kurswert bekommen; mit einem Mal rücken Namen, von denen bis dahin nur ein Kreis von Kennern wusste, ins Licht der Öffentlichkeit: Monika Rinck, Nora Bossong, Lutz Seiler. Die Publikumsverlage bauen ihre Lyriksparten aus, manche, wie der Frankfurter Schöffling-Verlag, riskieren sogar Debüts bis dahin komplett unbekannter Lyriker; der kleine Berliner Verlag Kookbooks wird im Handumdrehen zum Synonym für verkaufbare Lyrik sehr junger Dichter, und der jüngste Ingeborg-Bachmann-Preis für Prosa ging an Nora Gomringer, eine Autorin, die vor allem wegen ihrer Gedichte gefeiert wird.

Was ist da passiert? Wollen die Deutschen statt der täglichen Twitter-Banalitäten etwas, das Thomas Kunst als „den naiven Reichtum an Beziehungstrost und Wut“ bezeichnet? Also echte Worte und echte Gefühle?

(…)

„Wenn meine Generation ihre Sicherheit und ihren Besitz vernachlässigen und nur noch ihre Musik bei sich behalten würde, wäre sie auf Anhieb eine politische Klasse.“

Wegen solcher Sätze wird Thomas Kunst ziemlich gefeiert. Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu schrieb in der FAZ, Kunst sei „einer der größten Dichter, die wir haben“, auch weil er gegen die Mickrigkeit anschreibe und in seinem gerechten oder ungerechten Zorn immer noch würdiger dastehe als die „blassen Quallen der Poesie“ – das sind die anderen, die immer die Preise kriegen. Poesie hin, Kurswert her, es ist hier wie überall: Auf jeden Pfau kommt ein Gegenpfau und versucht ihm ein Auge auszuhacken.

(…)

Der wuchtige Erfolg von Jan Wagners „Regentonnenvariationen“ hat die bis dahin ein wenig selbstgefällige Gemeinschaft der Lyriker kräftig geschüttelt. Plötzlich schert einer aus dem Nischendasein aus und wird zur Referenzgröße für alle anderen, die sich auf der faulen Wahrheit ausgeruht haben, dass man mit Lyrik eben nicht viel Geld verdient.

(…)

Ist es nicht unglaublich, wie alle sich an diesem Dichter abarbeiten? Als Jan Wagner den Leipziger Preis bekam, gab es Dresche auch außerhalb der Kollegenwelt. Der SponKritiker, der den deutschen Autoren regelmäßig mit dem Ochsenziemer den Hintern versohlt (…) usw. usf.

6 Comments on “Renaissance? Über Gelaber und Lyrik

  1. Eklig denken? Eher: eklig abschreiben. Diesen Zungenschlag hatte Nora Bossong ja schon im letzten Jahr aufgebracht: „Sie schützen vor persönlichen Niederlagen, weil große Erfolge schon vorab ausgeschlossen sind: der Fehler liegt dabei nicht beim Einzelnen, sondern im System. Dadurch bietet die Rolle Deckung, auch vor allzu harten Angriffen, auf den Schwächsten schlägt man nicht ein. Was aber passiert, wenn plötzlich ein Gruppenmitglied aus der Rolle des Außenseiters herausfällt? Wenn ein Dichter um einen der vordersten Plätze der Spiegel-Bestsellerliste konkurriert? Wenn die Aussage „Lyrik verkauft sich nicht“ revidiert werden muss zu der Einsicht: „Meine Lyrik verkauft sich nicht“?“

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  2. Der wuchtige Erfolg von Jan Wagners “Regentonnenvariationen” hat die bis dahin ein wenig selbstgefällige Gemeinschaft der Lyriker kräftig geschüttelt. Plötzlich schert einer aus dem Nischendasein aus und wird zur Referenzgröße für alle anderen, die sich auf der faulen Wahrheit ausgeruht haben, dass man mit Lyrik eben nicht viel Geld verdient.

    WIE BITTE? Welch eklig Denken.

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    • habe ich das behauptet? ich glaube nicht. aber ich hätte es sagen können. der artikel, den ich verlinkt habe, lieber matthias hagedorn, steht nicht auf „seite 3“, sondern auf der website der süddeutschen zeitung, unpaginiert. (ich habe ein digitales abo, mit seitenlayout, aber zitiert habe ich den von der süddeutschen selber verbreiteten webartikel). und das wort feuilleton hat mehrere bedeutungen, eine davon ist der abschnitt, das „buch“ von 6 oder 8 oder auch weniger seiten im innern der zeitung, eine andere die institution, die kulturereignisse „bespricht“ oder auch generiert. von dieser letzteren spreche ich. verbunden und verbandelt mit dem preisbetrieb. wie perlentaucher/spiegel online schreibt: „Die deutsche Lyrik ist im Wandel begriffen, seit vergangenes Jahr der Leipziger Buchpreis an Jan Wagner ging, schreibt Hilmar Klute in der SZ.“ sie stellen es so dar, als hätte der betrieb, von dem das feuilleton ein teil ist, die lyrik verändert. das war mein thema.

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  3. Shepheard’s Hotel -Gedichte-
    Hilmar Klute
    Kleinverlag für Literatur und Sexualwissenschaft Gerhard Rupek, 1990

    Sein Erstling gerade bei booklooker im Angebot. Falls es jemanden interessiert: ist auch Lyrik…. Und schafft ein wenig Hintergrundwissen.

    jvm

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    • hintergrundwissen vielleicht über die psyche des verfassers, wens interessiert. aber erklärt das das phänomen, daß der betrieb sich öffentlich brüstet, er habe die lyrik verändert – wie es hier unverbrämt geschieht?

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