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Marcel Beyer, der die mit 20.000 Euro dotierte Ehrung am Montag in der Oberen Rathaushalle erhielt, ging harsch ins Gericht mit den vorgeblich patriotischen Demonstranten in seiner Heimatstadt: „Mit Wollust lassen sie sich einpeitschen, und je vulgärer der Abend wird, desto wohliger glühen ihre Äuglein“, sagte Beyer, der seine Abrechnung mit Versen aus der „Göttlichen Komödie“ illustrierte. Auf diese Weise wurden Dantes horrende Höllenvisionen mit Dresdener Gegenwart aufgeladen: „Denn dumpfes Heulen, grauenvolle Reden und des Zornes Laute sind derzeit nichts Ungewöhnliches auf den Plätzen der Stadt, in der ich lebe.“
Zuvor hatte Beyer in gebotener Drastik das nur bedingt lyriktaugliche Vokabular der Pegida-Anhänger vorgeführt, deren Wirklichkeitsbild sich laut Preisträger aus „Verschwörungstheorieportalen, Fernsehtalkshows und Fantasyromanverfilmungen“ speist. Seine kluge Wutrede im Rathaus war ein sinniger Auftakt der wenig später einen Gedichtbandwurf entfernt anhebenden Demonstration für eine demokratische und weltoffene Gesellschaft.
Am 137. Geburtstag des weltanschaulich ambivalenten Bremer Dichters Rudolf Alexander Schröder, dessen Andenken der Bremer Literaturpreis zugeeignet ist, äußerte Marcel Beyer neben Widerworten auch Fürsprache. Die galt vormaligen Preisträgern, die seine Weltwahrnehmung verändert haben – darunter Paul Celan und Friederike Mayröcker. Mit ihren Werken sei er ebenso aufgewachsen wie „in der selbstverständlichen Annahme, alles deutschnationale Geplärre liege weitgehend hinter uns“. Pegida belehrt ihn eines Schlechteren. / Hendrik Werner, Weser-Kurier
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