154. Meine Anthologie 50: Lothar Klünner, Aus dem undurchdringlichen Hell-Dunkel der Poesie…

Aus dem undurchdringlichen Hell-Dunkel der Poesie treten ein paar Linien von eindeutigem, kräftigem Umriß hervor:

brüderliche Existenz im Kreise der Schöpfung;

der Versuch, uns aufzurichten gegen den lastenden Himmel;

der Streit seit je zwischen Leidenschaften und Unschuld;

Abscheu vor der Norm an des Menschen Statt, ihren Machenschaften, ihrer öffentlichen Gewalt;

Trauer über die Not und das Gelächter der Vielen;

Freude auch an der schmerzhaften Wahrheit;

heftige Spiele im Dienste der Schönheit;

wachsender Durst nach Umwälzungen, Verwandlung …

Diese Linien fürs Eigentliche zu nehmen – welch befruchtender Irrtum! Sie sind uns ein Halt. Und doch bloß die Schleppe der Poesie, die unverschleißliche. Nicht ihr aufblitzendes Décolleté.

Keiner, auch nicht der Schatten der Wolkenkinder, berührte jemals ihr Meeres-Auge, ihren Schweige-Mund.

Aus: Lothar Klünner, Diese Nacht aus deinem Fleisch. Gesammelte Gedichte. Berlin: Jeannne-Mammen-Gesellschaft 2000, S. 94.

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