„Authentisch lehne ich ab!“

Dirk Skiba über seine Dichterporträts

Es ist eine gängige medienwissenschaftliche Lehrmeinung, Autorenporträts (w/*/m) als Teil des Epitextes von Publikationen zu werten.

SKIBA Es gefällt mir, dass Du Porträts als Texte betrachtest. Das ist auch meine Meinung. Ich gehe aber noch etwas weiter: Es kommt auch darauf an, wo das Bild veröffentlicht wird; im Buch ist es ein Paratext, der die Rezeption lenkt und der das gedruckte Wort begleitet; Paratexte sind damit Teil eines Buches. Epitext wäre – wenn ich es richtig verstehe – eher das Drumherum (Verlagswerbung, Flyer, etc.), und damit hat das Bild eine andere Funktion. Vielen Autoren ist das bewusst, sie fragen beispielsweise gezielt nach einem Bild für eine Buchklappe oder für eine Lesung – das müssen nicht immer die gleichen Bilder sein. Es  können verschiedene Fotos zu verschiedenen Zwecken sein.

Ist dieser mediatisierenden Perspektive nicht entgegenzuhalten, dass eine Dichterlesung bereits mit dem Betrachten eines Autorenporträts beginnt? Die Fotografie wäre dann nicht Teil einer Inszenierungsstrategie (eines Verlages, einer anderen kulturellen Agentur) oder eine Selbstinszenierung des Autors, sondern substanzieller Teil der Performance.

SKIBA Hier geht es um Lesungen. Das ist was anderes als die Publikation, oder?

AMES Das ist wiederum die gängige Auffassung. Problematisch daran ist, dass in solcher Perspektive nur der distributiv-ökonomische Blickwinkel eingenommen wird; und nicht der ästhetische Eigensinn der Veranstaltung erfasst wird.

SKIBA Wir leben in einer Zeit, in der Lesungen sich zu einer eigenen Kunstform entwickeln. Das war früher nicht immer der Fall. Und man sieht, dass es hier sehr große Unterschiede gibt. Es gibt Dichterlesungen, die bewusst gestaltet sind, wo Dichter mit ihrer Stimme ihre Texte interpretieren. Die Performance ist dann eine eigene Dimension, die zum Text hinzutritt. Jede Lesung ist im Grunde eine Interpretation des geschriebenen Textes. Natürlich wird manchmal einfach vorgelesen, ohne Übung, ohne Überlegungen zu einer angemessenen Wirkungsweise. Lesungen und Bücher sind zwei verschiedene Dimensionen. – Wenn für Lesungen geworben wird, dann ist das Bild Teil einer Inszenierungsstrategie, da stimme ich Dir zu. Nach meiner Erfahrung kommt es dabei sehr auf die Autoren an. Performancekünstler lassen sich tatsächlich anders fotografieren. Wenn es sich anbietet und ich weiß, dass ich einen Performer vor mir habe, dann bitte ich während des Fotografierens um einen Textvortrag. Dann entstehen andere Bilder, weil das Inszenierungsstrategien sind. Strategien im wertneutralen Sinn. Eine Nora Gomringer lässt sich anders fotografieren als ein Volker Braun.

AMES Poetry Slammer klammere ich nicht aus, im Gegenteil.

SKIBA Natürlich hat Porträtfotografie etwas zu tun mit Inszenierung, es geht um Selbstinszenierungen von Autoren. Ich arbeite nicht für Verlage oder kulturelle Agenturen. Ich merke, dass ich eine Vorstellung habe, wie man jemanden zeigen kann. Die Selbstinszenierung des Autors hat dann wiederum mit seinem Selbstbild etwas zu tun. Es entsteht so etwas wie ein gemeinsamer Text. Alle meine veröffentlichten Bilder sind vom Autor autorisiert. Ich treffe eine Vorauswahl, und dann kann ein Autor Vetos einlegen. Er sucht sich die Bilder aus, die seinem Selbstbild nahekommen.

Es gibt sehr große Unterschiede zwischen den Autoren. Einige überlassen mir die Auswahl. Da kann es sich um Bilder handeln, in denen der selbstinszenatorische Anteil nicht so hoch ist. Viele, gerade Lyriker, gerade die der mittleren Generation, sind sehr bewusst. Als öffentliche Person wollen sie genau kontrollieren, welche Bilder von ihnen im Umlauf sind.

AMES Da Autorschaft von auctoritas kommt, eine Herrschaftsform meint, ist das wenig verwunderlich.

SKIBA Ich kann sagen, dass der Wille zur Selbstinszenierung unterschiedlich stark ausgeprägt ist. Ich reise sehr viel und möchte auch die literarische Szene in anderen Ländern dokumentieren. Dabei fiel mir auf, dass die Selbstinszenierung deutscher Autoren eine andere ist als diejenigen in afrikanischen oder asiatischen Ländern. Selbst im europäischen Vergleich scheint mir die Genieästhetik in Deutschland noch erstaunlich verbreitet zu sein.

AMES Wieso ist das erstaunlich?

SKIBA Seit Heinrich Heine, dachte ich, hat sich doch ein anderes Konzept von Autorschaft etabliert. Und heutzutage haben sich durch die Schreibschulen doch auch Modelle kollaborativen Schreibens als Alternativen zum Geniegedanken entwickelt. Dennoch fällt mir auf, dass sehr viele Autoren, wenn ich sie treffe, vorschlagen, in einen Park zu gehen … Das lehne ich dann immer ab, denn ich möchte diese Vorstellung nicht bedienen … ich bin von einigen sogar eingeladen worden, auf einen Friedhof zu gehen …  Das sagt ja etwas …

AMES … über kulturelle Schablonen, ich weiß schon, was Du meinst.

SKIBA Das ist nicht despektierlich gemeint. Das sind Images. Das hat etwas zu tun mit Selbstbild: Die Bücherwand; der Blick ins Buch, der lesende Autor; der Autor vor dem kulminierten Wissen in seiner Bibliothek; der Autor im Zwiegespräch mit der Natur: Das sind Schablonen, die aber nicht universell sind.

AMES Wie ist es denn in einem afrikanischen Land eine typische Szenerie?

SKIBA Viele afrikanische Autoren haben eine europäische Prägung; insofern wäre die Frage zu stellen, was genuin afrikanisch sein könnte. Ich weiß es nicht. Generell waren die afrikanischen Autoren, die mir begegnet sind, gelassener, wollen nicht so genau kontrollieren, was im Umlauf ist.

Ganz wenige Autoren in Deutschland lassen sich gern fotografieren. Das ist ein ganz erstaunliches Zusammentreffen: niemals zuvor wurden so viele Fotografien produziert wie heute – mit Smartphonecams lassen sich die Leute sehr gern aufnehmen. Wenn aber jemand kommt mit einer anderen Idee, wenn jemand wirklich Porträts machen will, dann ist doch die Sorge groß, ob die eigenen Vorstellungen erfüllt werden. Bei Porträts ist Vertrauen eine Grundvoraussetzung. So werde ich oft in der Szene weiterempfohlen: man könne sich  darauf verlassen, dass ich den Autoren die Fotos vor Veröffentlichung vorlege. Leider gibt es auch Autorenfotografen, die Bilder unautorisiert ins Netz stellen. Dieses Verhalten führt natürlich zu verständlichen Vorbehalten aufseiten der Autoren. Deshalb ist eine klare Absprache im Vorfeld, wie mit den Porträts zu verfahren ist, vonnöten.

Welche Kriterien sind für Dich ausschlaggebend dafür, Autorinnen* und Autoren* einzuladen, sich von Dir fotografieren zu lassen?

SKIBA Hier muss ich wieder unterscheiden zwischen deutschen und ausländischen Autoren. Eine eindeutige Antwort darauf zu gehen, ist mir nicht möglich. Es gab das Buchprojekt; da sollten natürlich einige drin sein, die ich vorher nicht besucht hatte. Es gab Vorschläge vonseiten der Herausgeber. Ich habe auch gezielt Autorinnen und Autoren angesprochen bzw. die Herausgeber  haben das getan. Das ist alles im Rahmen des Projekts geschehen, es sollten verschiedene Altersgruppen und verschiedene deutschsprachige Länder vertreten sein. Das unterscheidet sich von meiner sonstigen Vorgehensweise. Es gibt verschiedene Recherchewege. Ich informiere mich auf den entsprechenden Sites, die »Lyrik-Empfehlungen« sind ebenso eine Informationsquelle wie »Signaturen«, beide verschaffen einen verlässlichen Überblick; außerdem ist Lyrikline zu nennen, v.a. wenn es sich um Lyrik aus dem Ausland handelt. Es ist auch so, dass ich die Autoren, zu denen ich Kontakt habe, frage, wer noch zu berücksichtigen wäre, dann wird man weitergereicht. Wenn es um Autoren aus dem Ausland geht, sind Vertraute, die ich dort habe, wichtig. So entstehen Listen. Entscheidend ist dann, wer in der betreffenden Zeit vor Ort erreichbar ist. Und dann muss man davon ausgehen, dass nicht alle, die ich fotografieren möchte, auch bereit sind, sich ablichten zu lassen. Ich weiß, dass diese Kriterien anfechtbar sind. Gerade mit Blick aufs Ausland sind Literaturpreise eine zunehmende Größe, v.a. in Ländern Südamerikas oder Afrikas; da sind eine Menge interessanter Leute darunter. Es ist auch so, dass ich schaue, wer ist ins Deutsche übersetzt worden. Es hängt insgesamt also von vielen Zufällen ab. So würde ich beispielsweise mit Blick auf »Das Gedicht und sein Double« nicht von einer repräsentativen Auswahl sprechen; das wäre vermessen.Ausschlaggebend ist auch die eigene Intuition hinsichtlich des Bildpotentials; gute Hinweise darauf gibt der Umstand, wie sich jemand im Netz in Szene setzt. Auch das hat für mich einen hohen Informationswert. Wenn jemand sehr ernst dreinblickt, ist es anders, als wenn er sich extrovertiert zeigt.

AMES Und dich interessiert eher das Extravertierte?

SKIBA Nicht unbedingt! Ich versuche immer, die Leute auf eine Art und Weise abzubilden, die ihnen entspricht. Ich kann zum Beispiel nicht einen etwas älteren Philosophen auffordern, irgendwelche Gesten zu machen … Das verbietet sich.

AMES Wonach suchst du? Was ist für dich ein hartes Auswahlkriterium: Authentizität oder Anmut?

SKIBA Oh, mit diesen Worten arbeite ich nicht.

AMES Authentizität ist für dich ein Unwort?

SKIBA Du fragst, was ich versuche abzubilden? Authentisch‹ lehne ich ab. Wir sprachen vorher davon, dass Fotos Texte sind, dennoch haben sie etwas mit dem zu tun, der vor der Kamera war. Wenn ich es mit einem Wort benennen müsste, dann wäre es: gültig. Ich möchte ein gültiges Porträt machen, d.h. eines, das die Zeit überdauert, das strebe ich an. Und welches das ist, lässt sich meistens im gemeinsamen Nachgespräch mit den Autoren finden. Bei älteren Autorinnen und Autoren geht es mir auch um Würde. Mein Ethos verbietet es mir, jemandes Gebrechlichkeit zu zeigen.

AMES Auch wenn sie oder er das wollte?

SKIBA (Pause) Das habe ich noch nicht erlebt. Ein Beispiel wäre Friederike Mayröcker. Ich habe – zumindest außerhalb von öffentlichen Veranstaltungen – wahrscheinlich eines der letzten Bilder von ihr gemacht. Darauf ist auch ihr hohes Alter zu sehen. Ich habe bei unserem Treffen ungefähr 200 Bilder gemacht. Aber nur mit einem war ich wirklich zufrieden. Das zeigt sie in ihrer Würde. Ich möchte niemanden bloßstellen oder lächerlich machen.

AMES Es muss sich ja nicht mal um solche Extremfälle handeln; schon bloße Gedankenlosigkeit kann sehr ärgerlich sein. Ich habe als Autor genau diesen Fall mehr als einmal erlebt: Dass ein Pressefotograf einfach draufgehalten hat, und mich in die Auswahl überhaupt nicht einbezogen hat. Einige dieser Fotos stehen seit Jahr und Tag im Netz. Natürlich muss ich das jeweils verkraften, aber fröhlich stimmt es im ersten Augenblick nicht, so gezeigt zu werden!

SKIBA Es kommt immer darauf an, welche Absprachen bestehen. Aber selbst dann, wenn Autoren mir freie Hand lassen, möchte ich nicht, dass Bilder in Umlauf kommen, von denen ich annehmen muss, dass sie die Person lächerlich wirken lassen. Ich spüre, dass andere Fotografen selbst in den Bildern sein wollen. Es gibt Bilder von César Aira in der Badewanne. Und ich weiß genau, dass das eine Inszenierung des Fotografen war. Und es gibt andere Fotografen, die lustige Bilder machen möchten, vielleicht finden das die Autoren selbst gut. Aber (lacht) das ist nicht so mein Ansatz.

AMES Hierzu noch eine allerletzte Rückfrage noch. Wenn ich das richtig beobachte, dann sind es eher Festivals, die dich interessieren; Du hattest nämlich auch Literaturpreisveranstaltungen genannt …

SKIBA Nein. Ich besuche zwar ausgewählte Festivals; ich fahre auch sehr gerne zur Prager Buchmesse, weil dort einige Bekannte und Freunde tätig sind, das erleichtert die Arbeit, ich kann Autoren treffen, die sonst nicht so leicht erreichbar sind. Auf Festivals sind viele Autoren aber ganz anders als in ihrer vertrauten Umgebung, deshalb ziehe ich es vor, Leute dort zu besuchen, wo sie auch ein wenig Zeit haben.

AMES Was bedeutet denn ein wenig Zeit?

SKIBA Meistens eine Stunde. Das ist sehr unterschiedlich, manchmal auch länger, aber nie länger als zwei Stunden. Dann ist die Spannung weg.

Ist Fotografie von Dichtern eine Art Rückübersetzung der Kunst (lyrisches Ich) ins Leben (Autobiografie). Ist es genau umgekehrt?

SKIBA Das lyrische Ich hat mit der Person des Autors nur sehr wenig zu tun. Das ist literaturwissenschaftliches Wissen, Stand: erstes Semester …

AMES Vielen Lesern mag genau dieses Wissen aber fehlen …

SKIBA Auch die in der Frage mitschwingende These, dass das Autorenbild mit der Person etwas zu tun hat, ist nur bedingt richtig. Das entstandene Porträt ist ein Text und auch ein Bild von mir. Das Bild ist nicht die Person, nein, es ist ein Text. Insofern stimme ich der These von der Rückübersetzung nicht zu. Wobei die Grenzen zwischen Leben und Fiktion – Beispiel Knausgård – im Genre der Autofiktion aufgeweicht werden. Damit spielt auch »Das Gedicht und sein Double«. Wenn im Text ein Ich steht und Bild dazu gegeben wird, dann fragt man sich: was ist jetzt Text, was ist Person, was ist eigentlich Ich‹ …?

Wonach bemisst sich für Dich die Stimmigkeit zwischen fotografierter Person und dahinterstehendem Werk. Gibt es tote Gesten?

SKIBA Ich kenne zwar das Werk von einigen Autorinnen und Autoren, aber ich kenne nicht von jeder Person, die ich fotografiert habe, das Werk.

AMES Das ist doch eine ganz wesentliche Aussage.

SKIBA Wenn ich das Werk kenne, beeinflusst es natürlich meinen Blick auf den Autor. Ich will aber auch nicht illustrieren. Wenn ich eine Krimischriftstellerin treffe, dann gehe ich mit dieser Autorin nicht in ein dunkel ausgeleuchtetes Schloss (lacht). Und zu toten Gesten (Pause) … Ja, schwierig ist es mit Händen … Die Denkerpose ist eine tote Geste … In uns sind ganz viele Bilder abgespeichert … Es gibt tote Ambiente, die ich vermeide. Wie schon gesagt: ich vermeide Parks.

Welche Erwartung verbinden sich für Dich hinsichtlich der Betrachter (m/*/w) Deiner Autorenporträts? Welche Erwartungen und Idealvorstellungen hast Du als Porträtfotograf?

SKIBA Ich hoffe, dass Betrachter verweilen; dass so etwas wie Stimmigkeit und Gültigkeit gespürt wird. Ich mag besonders Bilder mit kleinen Momenten des Unerwarteten. Vielleicht ein Haar, das nicht richtig liegt. Das sind wahrscheinlich meine besten Bilder: wo kleine Irritationen drin sind. (Pause) Man darf sich auch nichts vormachen: Fotobücher werden durchgeblättert. Da hat man keine Sekunde pro Bild. Ich habe keine Erwartung, aber ich habe die Hoffnung, dass einige Bilder etwas länger angeschaut werden. Das hat auch zu dieser Kombination von Gedicht und Bild im o.g. Sammelband Anlass gegeben. Man liest den Text, schaut auf das Bild, oder umgekehrt.

In welchem Fall erscheint Dir eine Fotografie misslungen?

SKIBA Ich habe ganz viele misslungene Fotografien … Deshalb gibt es ja den Prozess des Auswählens, der sehr intuitiv ist.

AMES Ich dachte nicht an das Material, sondern an veröffentlichte Fotos, und ich dachte weniger an Dich, sondern an Porträtfotografie als solche.

SKIBA Wenn der Fotograf sich sehr in den Vordergrund spielt, empfinde ich das als übergriffig.

Welche Fotografinnen* (m/w) waren für Dich stilbildend?

SKIBA Isolde Ohlbaum und Renate von Mangold haben das Genre geprägt. Ich schau mir mit großem Interesse an, wie die beiden gearbeitet haben. Aber wenn ich Vorbilder nennen soll …

AMES Ich möchte nochmal betonen: ich frage nach Vorbildern für dich; nicht danach, was in öffentlicher Geltung steht …

SKIBA Sicher! Mit Cato Lein bin ich in gutem Kontakt. Erst kürzlich hat er eine Serie von Autorenporträts in Rumänien angefertigt. Das ist großartig, das ist eine ganz spezielle skandinavische Bildsprache, die mir sehr zusagt. Mir gefallen auch sehr die Arbeiten von Anton Corbijn (bekannt geworden durch die Bilder von Tom Waits) und die Künstlerporträts von Barbara Klemm. Im deutschen Kontext fallen mir noch ein Roger Melis und Stefan Moses. Letzterer hat stark konzeptionell gearbeitet. In einer Serie hat er alles vorab arrangiert, Spiegel aufgestellt, dann hat er den Autoren bzw. Philosophen einen Selbstauslöser in die Hand gegeben. Das finde ich faszinierend, weil du dir unweigerlich die Frage nach Autorschaft stellst.

AMES Hast du selbst probiert, im Rahmen eines solchen Arrangements mit Autoren zu arbeiten?

SKIBA Ich fände es albern, die gleiche Idee nochmal umzusetzen. Es fasziniert mich einfach. – Bezüglich der Autorenfotografie ist mir die Unterscheidung wichtig zwischen freien Arbeiten und Auftragsarbeiten (v.a. für Verlage), meist sehr kommerziell, und nach Vorgaben und Idee der Auftraggeber zu erledigen. Das heißt nicht, dass Auftragskünstler schlechtere Arbeit leisten. In den USA gibt es einen enorm avancierten Fotografen namens Beowulf Sherman, der über eine entsprechende Infrastruktur (Studio, Assistenten) verfügt. Das sind ganz andere Bilder. Die sind (Pause) einfach nur schön; da fehlt mir – ein wenig plakativ ausgedrückt – die Tiefe.

Es gibt anonyme Formen des Poesie-Events, zum Beispiel Konzept*Feuerpudel (URL: http://gleiswildnis.de). Was wäre dazu die passende Art von Porträtfotografie?

SKIBA Ich kann dazu nur sagen, dass es viele Lyrikerinnen und Lyriker gibt, die Schwierigkeiten haben mit dem Genre Autorenporträt.

AMES Bei manchen Kollegen ist nicht auszuschließen, dass ihnen der Reim von Gedicht auf Gesicht nicht gefällt.

SKIBA Ich kann und will niemanden gegen seinen Willen fotografieren.

AMES Es bestünde aber die Möglichkeit, Substitute bereitzustellen … Die Autoren könnten Artefakte bereitstellen.

SKIBA Es gäbe auch die Möglichkeit, mit Stativ zu arbeiten und unscharfe Bilder zu produzieren. Das kann man machen. Das hatte ich schon mal angedacht, aber dann nicht realisiert.

AMES Warum eigentlich nicht? Es würde sich dann nicht mehr um Porträtfotografie handeln, sondern um Dichterfotografie; dies durchaus in mehrerlei Hinsicht. Lyrik steht ja durchaus im Ruf, opak zu sein … und diese Opazität wäre durch Artefakte oder Verschwommenheit umzusetzen … Reizt Dich so etwas?

SKIBA Durchaus. Ich würde dann aber die Dokumentation von Performances in Betracht ziehen … Damit wären wir auch bei der letzten Frage.

Müssten sich Dichterinnen (w/*/m) nicht konsequenterweise im Akt fotografieren lassen. Und welcher wäre das; welcher wäre der für Dich als Fotografen paradigmatische? Der Akt des Schreibens oder der Akt des Vortrags des Geschrieben?

SKIBA Es gibt wieder verschiedene Möglichkeiten. Ich antworte mit Verweis auf ein Beispiel: Gerhard Rühm und seine Frau machen Sprechduette. Diese Kunstform wirkt sehr modern, ist aber wohl schon in den 1950ern entstanden. Hier bestünde die Möglichkeit, im Rahmen einer Lesung zu fotografieren. Nur ist der Fotograf in dieser Situation sehr limitiert. Er sitzt irgendwo, das Licht ist meist sehr schlecht, meistens Kunstlicht; es ist toll, wenn so etwas dokumentiert ist. Für meine Art der Fotografie ist es besser, wenn ich die Autoren bei einem Treffen einlade, etwas zu lesen. Ich habe meistens einen tragbaren Hintergrund dabei. Und in Köln haben Herr Rühm und seine Frau in meiner Gegenwart vor dem schwarzen Hintergrund Sprechduette aufgeführt; das habe ich dokumentiert, und ich glaube auch, dass die Bilder ganz gut geworden sind. Ich habe die beiden zwar beim Vortrag fotografiert, aber es war kein Vortrag vor Publikum.

Diese Vorträge während des Shootings haben einige Autoren gemacht; erstaunlich war die Angabe des Ehepaars Rühm, dass im Rahmen von Autorenporträts noch nie jemand danach gefragt hatte; Gerhard Rühm sagte, es existierten keine derartigen Fotos. Das hätte ich nicht gedacht. – Ein anderes Beispiel wäre Adonis, der mit großer Inbrunst seine Gedichte vorträgt. Er rezitierte ein Gedicht, dabei habe ich ihn dann fotografiert. Das ist für mich dann etwas anderes, als wenn ich jemanden fotografiere, der sich gegen eine Wand lehnt.

AMES Was ist aber für Dich als Fotograf die paradigmatische Situation, wenn es um Dichterfotografie geht, um von der Porträtfotografie wegzukommen, wo es offenbar klare Vorgaben gibt. Was ist im Kontext der Dichterfotografie die paradigmatische Situation: Der Schreibakt, der Akt des öffentlichen Vortrags oder das völlige Beiseite-Lassen beider?

SKIBA Das Schreiben ist eine sehr ruhige und sehr persönliche Sache. Ich könnte versuchen, das zu fotografieren, das hätte dann aber vielleicht eine voyeuristische Komponente; das hätte vielleicht auch etwas von Homestory … Autoren in ihren Arbeitsräumlichkeiten zu fotografieren, das vermeide ich eher. Der Vortrag vor Publikum wäre eine paradigmatische Situation, aber es ist nicht meine paradigmatische Situation. Meistens ist es ein Dialog, der sich entwickelt. Und während dieses Dialogs nähere ich mich der jeweiligen Person an. Grundsätzlich lasse ich mir dann gern in die Karten schauen. Autorenfotografie erlebe ich als Tätigkeit auf mehreren Ebenen. Eine Ebene ist das Gespräch; ich unterhalte mich mit den Porträtierten; das ist eine sehr ruhige Konversation. Es geht vielleicht um Literatur oder um Autorenporträts. Das ist ganz wichtig, um eine Atmosphäre zu kreieren, die ein Verkrampfen verhindert. Auf einer anderen Ebene bin ich höchst konzentriert; muss auf verschiedene technische Details achten und auf die Bildkomposition. Einige Vorgänge sind weitgehend automatisiert, trotzdem kann ich die Spannung zwischen beiläufigem Gespräch und voller Konzentration nicht lange durchzuhalten. Das führt in kurzen Passagen dann dazu, dass ich ein unaufmerksamer Zuhörer bin. Dann entschuldige ich mich kurz.

AMES Herzlichen Dank für Deine äußerst hilfreichen Antworten!

***

Das Telefoninterview mit Dr. Dirk Skiba vom 19.07.2021 entstand im Rahmen der Forschungsarbeit Ritual – Artikulation – Aktion: Die ›Dichterlesung‹ seit den 1950er Jahren

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