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Zum Welttag der kulturellen Vielfalt zwei Gedichte aus einer Sammlung, die im Sprachgebrauch der Zeit „Dichtungen der Naturvölker“ hieß. Terminologisch und begrifflich sozusagen nicht auf der „Höhe“ unserer Zeit, aber wieviel Material! Was für ein Entdecker- und Sammlergeist. Aus der Einleitung:
Zu den wenigen Gebieten der künstlerischen Weltproduktion, die bisher nur sehr selten beachtet worden sind, gehört die Dichtung der Naturvölker. Ganz im Gegensatz zur Plastik der Primitiven. Eine seltsame Laune des Schicksals hatte im Laufe der letzten Generationen der naturvölkischen Schnitzkunst einen starken Einfluß auf manche europäischen Maler und Plastiker eingeräumt. Und so sind denn auch weite Gebiete der figürlichen Plastik Afrikas, Ozeaniens, Amerikas mehr oder weniger eingehend untersucht worden. Nicht so die Dichtung der Naturvölker!
Dennoch ist die poetische Begabung der Naturvölker keineswegs geringer als ihr plastisches Talent. Wer die Gesänge und Gedichte der Primitiven kennt, ist vielleicht sogar geneigt, die Dokumente ihrer dichterischen Phantasie höher als die ihrer plastischen Schöpferkraft zu stellen. Freilich scheinen hier in der Plastik letzte Formulierungen, endgültige Prägungen geleistet zu sein, während die dichterische Produktion nicht so unmittelbar zu genießen und zu bewerten ist.
Gleichwohl: auch in dem Gebiet der lyrischen Dichtung hat der Naturmensch Werke geschaffen, mit denen er sich kühn in die Reihe der großen Lyriker stellen kann. Hier ist ihm eindeutiger als sonst der große Wurf gelungen, durch den sich jeder wahrhaft produktive Geist als solcher legitimiert: die Grenzen der Rasse, der Sprache, des Erdteils sind übersprungen, und mit begeistertem Wort findet er Gedanken und formuliert er Gefühle, die zum Innersten des Allmenschlichen gehören. Frömmigkeit, Liebe, Krieg und ihr tragisch dunkler Gegenspieler: Trauer und Schmerz, sie alle finden ihren Ausdruck.
KALTES HERZ
MODERNES LIED AUS HAWAII, SÜDSEE
Liebessehnsucht treibt mich zu dir,
Herz so kalt, so kalt!
Ganz erfroren bin ich
Durch die beißende Kälte.
Wie bitter kalt der Regen,
Bitter kalt der Strom, —
Ganz und gar durchfröstelt
Durch die beißende Kälte.
Woran denkst du, sprich?
Sollten du und ich
Uns nicht in die Arme schließen,
Um die Kälte abzuhalten?
Nach Nathaniel B. Emerson: „Unwritten literature of Hawaii“, im Smithson. Inst. Bur. Am.
Ethn., Bull. 38; Washington, 1909; S. 163.
Aus: Dichtungen der Naturvölker. Religiöse, magische und profane Lyrik. Gesammelt, gesichtet und in deutscher Sprache herausgegeben von Eckart v. Sydow. Wien: Phaidon, , 1935, S. 125
DER GOTTGLEICHE EUROPÄER
CAMMA, GABUN, WEST-AFRIKA
Im blauen Palast des tiefen Meeres
Wohnt ein seltsames Wesen.
Seine Haut ist weiß wie Salz,
Sein Haar lang und geflochten wie Seegras.
Es ist größer als die Fürsten der Erde.
Sein Kleid ist wie das von Fischen,
Fischen, die reizvoller sind als Vögel.
Sein Haus ist errichtet aus Messingstäben.
Sein Garten ist ein Wald von Tabakpflanzen.
Auf seinem Land sind weiße Perlen ausgestreut,
Wie Sandkörner auf dem Meeresstrand.
Nach W. W. Reade: „Savage Africa“, London, 1863; S. 228.
Aus: Ebd. S. l80.
Sehr geehrte Frau Benseler, Sie irren sich gleich in mehreren Punkten.
1. Es ist nicht „meine“ Gegenüberstellung, bitte lesen Sie nach, es ist ein Zitat aus einem Buch, das im Jahr 1935 in Österreich erschien, der Name des Verfassers steht dort auch. Ich sage auch vor dem Zitat, dass es teilweise heute veraltete Begriffe benutzt.
2. In diesem Zitat, so wie ich es verstehe, wird keineswegs Krieg auf die „positive Seite“ gerückt, wie kommen Sie darauf? Der Verfasser jenes Vorworts spricht davon, dass die Gedichte Gegenstände haben, „Frömmigkeit, Liebe, Krieg“, und dass diese Welt der Gegenstände in Gefühlen wie Trauer und Schmerz eine „dunkle“ Gegenseite haben. Er drückt sich vielleicht mißverständlich aus, aber er macht keine Gegenüberstellung von „positiven“ und „negativen“ Dingen, sondern spricht über Inhalt und Form oder Gehalt und Ausdruck. Dass ein Gedicht zum Beispiel vom Krieg handelt (nicht die zwei, die ich ausgewählt habe), ist der Stoff, den sieht jeder, er ist (nicht positiv sondern) hell, ich sage es weiter mit einem Goethezitat, „Den Stoff sieht jedermann vor sich, den Gehalt findet nur der, der etwas dazu zu tun hat, und die Form ist ein Geheimnis den Meisten.“ Das im Dunkeln sieht man nicht, aber man kann danach suchen, Sie wissen ja, „wer immer strebend sich bemüht“.
3. Ihre Meinungsfreiheit. Wenn Sie darunter verstehen, dass Sie jederzeit moralische Urteile über Gedichte oder Aussagen, die Ihnen vielleicht dunkel oder „negativ“ erscheinen, an jedem beliebigen Ort abgeben dürfen, muss ich Sie enttäuschen. Sie können meinen und sagen was Sie wollen, aber ob er ein Buch daraus macht, entscheidet der Verleger – er oder sie, wenn es eine Verlegerin ist, wird danach gehen, ob es relevant ist für das Profil des Verlags, ob es ihm oder ihr gefällt und vielleicht auch, ob sich Geld damit verdienen lässt. Ich bin kein Verleger, aber als Herausgeber dieses Forums oder dieser Zeitung für Lyrik habe ich das Hausrecht und werde es auch ausüben. Ich veröffentliche Gedichte und lade die Leser ein, sie zu lesen, sich zu freuen oder auch mal ärgern und gern auch darüber zu diskutieren. Auch Sie, Sie müssen zugeben, dass Sie sehr viele Kommentare hier veröffentlicht haben, mehr als jeder oder jede andere in letzter Zeit. Oft sind es kurze aburteilende Statements, wie „Scheint genial zu sein, ist es aber nicht.“, „abstoßend! Ekelhaft! Die Zeichnung dennoch gut.“ usw. Bitte schön, Ihre Meinung, ich würde sagen, schade, dass Sie sich nicht auf das Ihnen auf den ersten Blick dunkel oder negativ erscheinende Gedicht eingelassen und sich nicht mit ihm auseinandergesetzt haben. Wenn Goethe sagt, da muss der Leser etwas dazu tun, meint er damit etwa „Daumen hoch“ oder „Daumen runter“? Etwas anderes müsste es schon sein, ein Argument, eine Lesart, ein Vorschlag, was auch immer. Lyrikzeitung ist ein Angebot für Lyrikinteressierte, aber kein Mitteilungsblatt für Ihre nicht sehr gut begründeten Zensuren oder Kurzurteile.
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