Times Literary Supplement 17. März 2017

Zeitschriftenlese von Michael Gratz

2017 ist Swiftjahr. Weniger in England, dem er sich zugehörig fühlte, aber in Irland, wo er (zufällig) geboren wurde. Am 30. November 1667, vor 350 Jahren, wurde Jonathan Swift in Dublin geboren, dort starb er auch 1745. Heute wird er oft als irischer oder anglo-irischer Schriftsteller bezeichnet – ihm selber hätte das kaum gepaßt. Er fühlte sich England zugehörig und irisch nur in dem Sinn, daß er zufällig dort „abgeworfen“ (dropped) wurde. Irland war für ihn Exil. Zudem war er anglikanischer Geistlicher in einem katholischen Land.

Sein Jubiläum wird in Irland groß gefeiert, in England weniger, wenn überhaupt. „In keinem anderen englischsprachigen Land wird ein Schriftsteller auf höchster politischer Ebene offiziell gefeiert, von politischen Führern, die allem Anschein nach sein Werk gelesen haben.“ Irland ehrt seine Dichter , auch die „disloyalen“ und Protestanten und sogar Auswanderer wie Joyce oder jüngst Beckett. Yeats und Shaw wurden eingeladen, im Irischen Senat mitzuwirken. Shaw meinte schelmisch, er würde nur mitmachen, wenn der Senat nach London zöge. Yeats aber machte mit und wurde ein herausragender Senator.

Der Autor der Besprechung dreier Bücher über Swift berichtet von einem Taxifahrer in Dublin, der Swift als Großen bezeichnete und ihn fragte, welches Buch von Swift man lesen sollte, wenn es eins sein sollte. Als er Gullivers Reisen nannte, rief der Taxifahrer aus: „Gullivers Reisen ist von Swift!“

Für TS Eliot war Swift der größte englische Prosaschreiber. Aber er war auch ein fruchtbarer wunderbarer Dichter, den Dichter, anders als Kritiker, oft höher schätzen als seinen Freund Pope. Die Besprechung von Claude Rawson fokussiert auf die politische Philosophie Jonathan Swifts, eines Autors, der „nicht schrieb, um von seinen Lesern geliebt zu werden“.

Aus dem Gedicht „A Description of the Morning“ von Jonathan Swift

Now hardly here and there a hackney-coach
Appearing, show’d the ruddy morn’s approach.
Now Betty from her master’s bed had flown,
And softly stole to discompose her own.
The slip-shod ‚prentice from his master’s door
Had par’d the dirt, and sprinkled round the floor.
Now Moll had whirl’d her mop with dext’rous airs,
Prepar’d to scrub the entry and the stairs.

Beschreibung des Morgens

Deutsch von K. Bartenschlager)

Vereinzelt eine Droschke dann und wann
Zeigt Rotbäckchen Auroras Ankunft an.
Betty entfleucht schon aus des Hausherrn Pfühlen,
Und schleicht, das eigne Bett noch zu zerwühlen.
Der schlampige Stift hat von des Misters Tor
Den Dreck geschrubbt und sprengt den Platz davor.
Moll wirbelt ihren Mop mit viel Gefühl
Und scheuert Treppenhaus und Vestibül.
(…)

In: Englische und amerikanische Dichtung 2. Von Dryden bis Tennyson. München: C.H. Beck, 2000, S. 89

Gabriel Josipovici nennt Handke, Celan und Bernhard die wichtigsten deutschsprachigen Autoren der Nachkriegszeit und bespricht die Übersetzung von Handkes Roman „Die morawische Nacht“. Boris Dralyuk bespricht die Übersetzung des dramatischen Zyklus „Forefather’s Eve“ (Dziady – Totenfeier, Ahnenfeier) von Tadeusz Mickiewicz. Dies sei das romantischste Werk des polnischen Barden („Polen die romantischste der Nationen“). Von den vier Teilen erschienen zuerst 1823 Teile 2 und 4, die konventionellsten Teile des Dramas, sie enthielten nichts, was nicht auch Byron oder Goethe konnten, schreibt der Rezensent. Erst mit Teil 3, der 10 Jahre später erschien, sprengt Mickiewicz diese gesamteuropäische Konvention. Geschrieben nach den Scheitern des Aufstands von 1830-31, verwandelt das Werk den Verlust der Unabhängigkeit des Landes an Rußland, Preußen und Österreich in einen christologischen Mythos von Aufopferung und Wiedergeburt. Das Werk etablierte die affektive Verbindung zwischen Dichter und Volk und beförderte den Kampf gegen Tyrannei – besonders von außen kommende – als nationales ideal. Im Jahr 1968 wurde eine Warschauer Inszenierung des Stücks auf Druck Moskaus nur zwei Monate nach der Aufführung abgesetzt, was massive Studentenproteste hervorrief. Die Übersetzung von Charles S. Kraszewski ist die erste Gesamtübersetung des Stücks nach der vergriffenen Ausgabe von Potocki 1968. Die Übersetzung ist getreu, aber nicht immer poetisch, urteilt der Rezensent.

Andrew Kahn bespricht einen dicken Band mit Briefen, Erinnerungen und Zeugnissen von Nadeshda Mandelstam, der in Moskau erschienen ist. Erst jetzt werde Mandelstams Witwe auch als eigenständige Autorin sichtbar.

Kevin Tuite bespricht eine neue Übersetzung des georgischen Epos „Der Recke im Tigerfell“ von Schota Rustaweli (ca. 1172-1216). Zu seiner Lebenszeit war Georgien einer der mächtigsten Staaten an der Grenze zwischen dem christlichen Westen und dem islamischen Osten. Das Werk ist ein Monument der Weltliteratur in seinem reichen Bestand an Bildern, Tropen und philosophischen Gedanken und der sprachlichen Virtuosität des Autors. Rustawelis Georgisch wurde mit Shakespeares Englisch verglichen. Wie dieser zehrte der Georgier von einem reichen Sprachschatz und schuf neue Ausdrücke. Ein minimalistisches Kleinod unter diesen Neologismen ist der Imperativ „ie!“, das bedeutet „sei ein Veilchen“ (abgeleitet von „ia“, Veilchen).  Rustaweli war ein Meister der Klangmalerei, der die Möglichkeiten des mittelalterlichen Georgisch zu nutzen verstand. Dazu gehört die Neigung zu Konsonantenhaufen wie in „ktsevita vepxebr mk’rchxalita“ („sich bewegend wie ein scharfkralliger Panther“).

Mit einem (1) Gedicht von Catherine Ormell

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