Canto General

Erstaunlich ist, welche Ähnlichkeiten Nerudas und Theodorakis’ Lebenswege haben, trotz ihres Altersunterschieds und der unterschiedlichen Geschichte ihrer Länder. Beide erleben Bürgerkriege, Neruda in Spanien, Theodorakis in Griechenland. Beide werden politisch verfolgt und müssen im Exil leben. Beide sind gewählte Parlamentsabgeordnete. Neruda arbeitet lange Jahre im diplomatischen Dienst Chiles als Konsul und Botschafter, Theodorakis ist zwei Jahre lang Minister in der Regierung von Konstantinos Mitsotakis.

In Kindheit und Jugend liegen die Schlüsselerlebnisse beider, die ihre Identität und Persönlichkeit formen: Neruda sagt: »Die Menschenmenge ist die Lehre meines Lebens gewesen […] kaum bin ich in ihrer Mitte […] bin ich Teil der wesenhaften Mehrheit, bin ich ein Blatt mehr des großen menschlichen Baums […] Denkwürdig und herzbewegend für den Dichter ist es, für viele Menschen eine Minute lang Hoffnung verkörpert zu haben.« (1979 in seinen Memoiren »Ich bekenne, ich habe gelebt«) Und Theodorakis schreibt: »Ich suchte Gott und fand den Arbeiter« (1987 in seiner Autobiographie »Die Wege des Erzengels«).

Canto General bedeutet wörtlich »Allgemeiner Gesang«, wird aber oft als »Der große Gesang« betitelt. Theodorakis und Neruda verfolgen mit ihren Werken dasselbe Ziel: Neue Inhalte verständlich zu gestalten, damit sie auch den Menschen zugänglich sind, die nicht das Glück hatten, eine umfangreiche Bildung zu erhalten. Die Botschaft von Musik und Text ist der Ruf nach Selbstbestimmung, Freiheit und Unabhängigkeit der Völker.

(…)

Wie kam es zur Auswahl der von Theodorakis vertonten 13 Teile aus dem Gedichtszyklus? Hierzu äußert Theodorakis sich 1983: »Bei meiner ersten Begegnung mit Allende in seinem Haus auf einem Hügel über Santiago erzählte ich ihm, dass ich den Canto General gehört hatte und diese Dichtung vertonen möchte. Mein Wunsch sei nur, das Werk zum ersten Mal in Chile aufzuführen. Allende war sofort von der Idee begeistert und und ließ sich seine Ausgabe des Canto bringen. Da ich kein Spanisch verstand, fragte ich, mit welchem Gedicht ich anfangen sollte, und Allende selbst markierte mit einem blauen Stift die Gedichte, die sich seiner Meinung nach besonders dafür eigneten.

Später, als ich Neruda traf, vervollständigte er mir mit einem roten Stift die Auswahl. »An meine Partei« ist interessanterweise von Allende angekreuzt worden. »Ich werde leben« auch. Neruda kreuzte das Gedicht »Die große Freude« an und den »Flüchtling«Neruda sagte: ›Das ist mein Leben, und es ist auch dein Leben‹. Ich habe natürlich nicht alle Gedichte vertont, denn man kann aus dem Canto General zweihundert Oratorien machen!« / Gerhard Folkerts, junge Welt

1 Comments on “Canto General

  1. der text klingt, als wäre er in den achtzigern in der ddr geschrieben worden und wenn er so stimmte, könnten wir neruda und theodirakis zur zone in den sarg packen. zum glück aber sind beider arbeiten aber viel mehr als propaganda. und sie sind auch nicht auf popularisierung zu reduzieren. eigentlich wäre jetzt ein essay fällig.

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