85. Meine Anthologie: Von Gedichten

Bernd Jentzsch

VON GEDICHTEN

1) Zahl-, schutz-, macht-, folgenlos. 2) Aber wenn sich etwas zu verändern beginnt, zeigt man auf die, die sie gemacht haben. 3) Wer Gedichte machen will, muß einmal gestorben sein zur Hälfte / des Lebens; ein Widergänger, die leuchtenden Adern im Staub. 4) Wilders Komödien, Becketts Prosa, das Spargelbund Manets von 1880 sind Gedichte. Und Vallejos Schreie, die eure Mittagsruhe beeinträchtigten. Note zu 1) Zunehmend kunstlos, d. i. Magerstufe der Welthaltigkeit. 5) Gemalte Fensterscheiben Beton, vollgesprayt. 6) Der Lyriker braucht die Vernunft nicht zu fürchten, denn sie fürchtet ihn doch auch nicht. Oder 7) Was die Welt im Innersten zusammenhält. Seit E = mc² konjugieren wir in der falschen Zeitform. 8) Einer hats gewußt, Zu den Akten. 10) Vor Auschwitz hätten wir es auch ohne sie zu Auschwitz gebracht; jetzt fehlen sie. 11) Bertolt, erhebe dich! Ruft auch Dante zurück. Rotte der selbsternannten Dichter, weggetreten! 9) Kohlrabi ist eine Gemüsesorte. Zeigt mir den Vers, der wahrhaftiger ist. 12) Sie hätten euch, die ihr sie nicht lest (das eingeschlossen), bei der Evolution behilflich sein können von Wilden zu den Halbwilden. 13) Gedichte sind nicht für mostpeople; einige taugen, vielleicht, für dich und mich. 14) Damit schließe ich jedwedes! Poesiealbum, endgültig. Herrenanrufe zwecklos. Ab in die Wüste! Note zu 1) Und schlecht bezahlt.

1991, am Muttertag

Aus: Die alte Lust, sich aufzubäumen. Lesebuch. Eine Auswahl des Autors. Mit einem Nachwort von Bernd Leistner und 22 Abb. Leipzig: Reclam, 1992. S. 212f.

Bernd Jentzsch im Lyrikwiki

7 Comments on “85. Meine Anthologie: Von Gedichten

  1. stimmt. jentzschs gedicht ähnelt einem cento oder flickenteppich. ich gebe auch eine spur:

    „The poems to come are for you and for me and are not for mostpeople– it’s no use trying to pretend that mostpeople and
    ourselves are alike. Mostpeople have less in common with ourselves than the squarerootofminusone. You and I are human
    beings;mostpeople are snobs“ e.e. cumming, new poems (1938), introduction

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  2. Erinnert mich an den „Zitatwettbewerb“ letztens. Ich fange mal mit Bobrowski an:

    Sprache

    Der Baum / größer als die Nacht / mit dem Atem der Talseen / mit dem Geflüster über / der Stille

    Die Steine / unter dem Fuß / die leuchtenden Adern / lange im Staub / für ewig

    Sprache / abgehetzt / mit dem müden Mund / auf dem endlosen Weg / zum Hause des Nachbarn

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