LITERATRUE IN ZEITEN DES WETTBEWERBS (Teil 2)

L&Poe Journal #03-2023

Mailwechsel zwischen Konstantin Ames und Michael Spyra

Betreff: Neid is falling Datum: 12.10.2022 11:55 Von: Konstantin Ames <—@—> An: michael spyra <—@—>

Zu jeder Art Wettbewerb gehört die entsprechende Einstellung. Und die fehlt einigen, nicht wenigen Lyriks. Ich bin nie eine Sportskanone gewesen, war aber nie unsportlich. Neid auf die Konkurrenz? Nie. Fremdscham? Fast immer. Mir ist immer klar gewesen: Die Chancen stehen 1:x … Unterfertigter hat nie gemauschelt, nie aufgrund von persönlichen Sympathiewerten Preise erhalten. Einzige Ausnahme: Ich kannte beim Lyrikpreis Meran einen Juror flüchtig. Und das trug mir die zweifelhafte Ehre ein, im Beisein eines anderen Finalisten, der leer ausging, von genau diesem Juror unter die Nase gerieben zu bekommen: „Du weißt aber schon, dass Du nur ein Kompromisskandidat warst. Ich hätte ja Person XX favorisiert. Konnte mich aber nicht durchsetzen.“ – Ich kann einfach 90 % des Personals nicht für voll nehmen, weil die (meist kinderlosen) Kollegen noch mit der eigenen Pubertät befasst sind, in jeder Hinsicht. Lyrikproduzenten und der lyrikkritische Zwischenhandel haben in Jurys ebenfalls nichts verloren, deshalb gibt es ja Fachleute für Literatur, Sprechen, Kommunikation, deren Forschung gehört in öffentlichen Foren diskutiert, daran sollte seitens der Wissenschaft ein vitales Interesse bestehen. So hielte auch ein populärerer Ton Einzug. Sonst dauert es nicht mehr lange, bis aus Fokusgruppe Lyrik ein Thinktank wird, ein poetischer Denkpanzer … sehr deutsch, und daher sehr wahrscheinlich.

Dir ist sicher noch eine Redewendung geläufig, die die Misere des Poetenlebens ziemlich gut umreißt: Jemand ist „durchgesetzt“ oder er ist eben im Begriff „durchgesetzt zu werden“. Die Rolle der Schreibenden ist dabei vollständig passiv gedacht. Und Du wirfst ja auch die Fragen auf, wie sich in Betriebssituationen zu verhalten wäre, um opportun zu handeln. Gar nicht opportun handeln! Sondern neugierig sein, v.a. freundlich solange es geht. Außer wer erzählt brühwarm Lügen über dich. Für die Begegnung mit Rufmördern sei immer eine faltbare Tür zur Hand. Neidisch wäre ich im Grund nur auf Lineale, Messbecher, und so Zeugs, die sind immer genau. Und sie bedürfen keiner Rechtfertigung. Aber sie sind auch so verdammt seelenlos. Und wenn es von etwas mehr sein dürfte, dann davon: Seele. Gänse, Häute gibz ja jenuch. Seele ist nicht da für die A)nderen oder die B)andern, sondern für dich. Hat was keine Seele, dann schreib es nicht auf. Hat was Seele, dann hat es keinen Preis nötig, erst recht keinen Lyrikscheiß. Sollen die andern Arschkrebs und Karies kriegen.

Donʼt night, good, tight, never let the spitzenteeth you bite! K.o

Betreff: Aw: Neid is falling Datum: 13.10.2022 09:18 Von: michael spyra <—@—> An: Konstantin Ames <—@—> Lieber KO,

ich habe mich über Ihren Brief sehr gefreut. Nun da wir uns eins waren, dass es weniger um den Text, als um den Autor geht und nachdem wir den Klüngel im Betrieb zum Thema hatten und dass das alles Scheiße ist, wird es niemanden interessieren, wie Sie oder ich oder wir oder sonst irgendwoher seine Lorbeeren gewonnen hat. Ob da nun einer bei zwinkert oder man als Kompromiss zur Welt gekommen ist. Egal! Die Kohle ist e immer zu wenig und läuft immer nur darauf hinaus, mit einem Preis an den nächsten zu kommen, bis dann mal irgendwas Fünfstelliges dabei ist, um sich ein Jahr auf die faule Haut legen zu können. Nein, Quatsch… Wenn die Maschine läuft, darf man sich nicht mehr rausziehen, weil ja auch immer gleich alles so schnell wieder nach- und zuwächst. Und wie die Lyris besetzt sind… Hach! Es ist ja immer auch ein hübsches Zubrot für die aus dem Alter gefallenen Kolleginnen. Schau schauen Sie den Merzliterarischen. Da geht das Geld aus den Stall an den Stall. Oder den Neutruewriter: vom Verlag an den Verlag. Man darf sich dabei auch nicht selbst im Wege stehen.

Das mit der Seele gefällt mir! Ja Seele muss es haben. Hat es das? Ist auch irgendwie Quatsch. Gefällt mir aber als solcher ganz wunderbar, weil es ein toller Anspruch ist. Seele kommt und geht nämlich. Und auch der Seelendetektor ist immer mal ein bisschen anders eingestellt. Wissen wir ja auch schon seit 20 Jahren, dass die Straßenlaterne, an der wir täglich vorbeikommen, erst zu einem gewissen Zeitpunkt erblüht. Dann wieder nicht und weg ist. Liest man ja auch schon Nachtlied Goethes oder der Halbzeit von Hölderlin: Wenns klappt, ist es da und man probiert es einzufangen und haltbar zu machen in der ewig missverständlichen Sprechsprache und auch da sieht es ein jeder nicht auch immer gleich so.

Ein Leben als Überzeugungstäter und Haltung im Betrieb. Integrität, Authentizität und auch diese dürfen sich mit Erfahrung und Erkenntnis ändern. Das soll nicht heißen heute so morgen so. Aber wenn die eigene Pubertät dann auch irgendwann mal kinderlos mit dem ersten Nervenzusammenbruch oder Zucker abgeschlossen sein sollte, ist auch dem schlimmsten Juror ein Haltungswechsel gestattet.

Ja, jetzt hat dieser Briefwechsel tatsächlich was Knackiges, find ich und auch persönlich. Das macht mir Freude und vielleicht kommen wir hier doch noch auf eine Lösung, die mehr ist als: „Man muss einfach sein Ding machen und die Arschgeigen geigen lassen.“?

Liebe Grüße Emmes

Betreff: Seelen duzen sich (diese Version) Datum: 14.10.2022 09:22 Von: Konstantin Ames <—@—> An: Michael Spyra <—@—>

Ik siezte nur meiner Oma Mietze/ hieß Mieschen war ein bisschen/ grauenvoll verschont von Ersäufung/ Diesen Wettbewerb hat jeder schon gewonnen./ Wirklich jeder war schon in./ Das weiß jede Seele, darum ergibt sie auch Sinn.// Bloß das Mensch drumherum/ Brennt so auf Anhäufung/ von Plunder understanding Bonzen/ Da haben wir den Kulturschizo …

Nämlich sobald nicht mehr nach Schizo-Culture gefragt wird. Und es wird seit den 1980ern nicht mehr lautstark und hörbar danach gefragt, lieber Emmes. Den literarischen Schmerz konnte man schon ganz anders erleben. Lustig war, dass am Ende der Zeremonie Krolow rezitiert wurde von einem Schauspieler. Dichtung ist aber nicht darstellendes Fach. Anfang müsste sein, Dichter Dichter lesen zu lassen. Ein Dichterleben ist auch nicht verfilmbar. Kein Film über Rilke, keiner über Celan. Brecht? Ja, aber doch den politischen Brecht, der Staatskünstler war wie Goethe. Ich meine aber das Tagesgeschäft eines Dichters. Was er arbeitet bleibt unsichtbar, es arbeitet in ihm. Und Schauspieler sind, wie Nachrichtensprecher, nun das Gegenteil eines reichen Innenlebens. Siehe Ken Constantin Schreiber. Man kann sie schulen, so zu sprechen, wie es sich spricht, in so einer sozialen Rolle. Dichter ist aber kein Rollenfach. Ein Dichter kann lernen, seiner Stimme zu vertrauen, und sie irgendwann auch zu sein, mehr hat er ja nicht. Und es endet, wenn er seine Stimme nicht findet nicht gut mit ihm. Schiller-, Hölderlin-, Lenzbeispiel. Dichtersein, das ist reine Sozialität:

Humanität. Man lässt nicht schreiben, das kann die K.I. irgendwann eh besser. Siezen Sie meine Hülle ruhig, aber meine Seele duz, dude, sonst reden wir bloß interessant. Wir müssen aber mit Stimme reden. Alles andere wäre — vergleichsweise — Luftgitarre-Spiel, eben Lyrik. Können die Karrieristen, die Literaturbeamtinnen besser.

K.o

2 Comments on “LITERATRUE IN ZEITEN DES WETTBEWERBS (Teil 2)

  1. Pingback: L&Poe Journal 3 (2023) – Lyrikzeitung & Poetry News

Hinterlasse einen Kommentar

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..