Das Archiv der Lyriknachrichten | Seit 2001 | News that stays news
Der französische Schriftsteller Pierre Louÿs war ein Meister der erotischen Literatur und ein Fälscher. Von ihm stammt der Roman Dieses obskure Objekt der Begierde (verfilmt von Luis Buñuel) und, eine Sensation, die angebliche Übersetzung einer bisher unbekannten griechischen Dichterin aus dem Umkreis der Sappho, Bilitis. Er hat sie erfunden, das Buch erschien 1894. Etliche fielen darauf herein, bevor er selber die Mystifikation zugab.
Pierre Louÿs
(* 10. Dezember 1870 in Gent; † 4. Juni 1925 in Paris)
DER VERLORNE BRIEF.
Weh über mich! Ich verlor seinen Brief. Ich hatt‘ ihn unter mein Strophion auf die Haut gelegt, auf meinen warmen Busen. Ich bin gelaufen, er wird herabgefallen sein.
Ich will umkehren und den Weg zurückgehn! wenn einer ihn fände, möcht‘ man’s meiner Mutter sagen und ich würde vor meinen spottlustigen Schwestern geschlagen.
Ist’s ein Mann, der ihn fand, wird er ihn wiederbringen; oder wenn er insgeheim mich sprechen will, weiß ich ein Mittel, ihn ihm zu rauben.
Ist’s ein Weib, das ihn fand, dann nimm mich auf in deinen Schutz, o Vater Zeus! Sie wird es aller Welt erzählen oder mir meinen Geliebten nehmen.
Aus: Pierre Louÿs, Lieder der Bilitis. [Ins Deutsche übertragen von Richard Hübner.] Leipzig: Zeitler, 1907, S. 55.
LA LETTRE PERDUE
Hélas sur moi ! j’ai perdu sa lettre. Je l’avais mise entre ma peau et mon strophion, sous la chaleur de mon sein. J’ai couru, elle sera tombée.
Je vais retourner sur mes pas : si quelqu’un la trouvait, on le dirait à ma mère et je serais fouettée devant mes sœurs moqueuses.
Si c’est un homme qui l’a trouvée il me la rendra ; ou même, s’il veut me parler en secret je sais le moyen de la lui ravir.
Si c’est une femme qui l’a lue, ô Dzeus Gardien, protège-moi ! car elle le dira à tout le monde, ou elle me prendra mon amant.
Neueste Kommentare