Bemerkungen zu Morgensterns Extremitäten

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Markus R. Weber 2012, privat

Von Markus R. Weber

Keine raunenden Botschaften, keine Ideologien, denen man zunicken könnte; keine dampfenden Bedeutungen; keine abhebbaren Tendenzen; keine echten Anliegen; (…) keine verbindlichen Aussagen; keine Ideen vom großen und ganzen; keine Charaktere, die nach psychologischen Richtlinien agieren; keine Moral; aber: Spiel, Heckmeck, Hokuspokus, Burleske, Wortakrobatik, Spaß; Spaß, der freilich an jeder Stelle umschlagen kann in Entsetzen.

Sagt Ror Wolf, einer der legitimen Nachfolger Morgensterns, über sein eigenes Werk. Mit Hans Waldmann hat er eine Fortsetzung der Morgensternschen Figuren Palmström und Korf geschaffen.

Spielfiguren, mit denen sich alle Versuchsanordnungen durchführen lassen.
Morgensterns vielleicht extremste Figur scheint mir aber Palma Kunkel zu sein scheint, die nicht auftreten, nicht einmal namentlich genannt sein will. Schade, daß er sich nicht ganz daran hält und sie noch mehrfach erscheinen läßt. Nicht radikal genug!
In der Nachlese zur Galgenpoesie findet sich dann auch noch ein besonders schönes Stück mit ihr, in dem Morgenstern noch einmal Nietzsche aufleben läßt: „Palmas Mutter sprach einst still und schlicht: / Nahst du Frauen, vergiß die Geißel nicht.“ (…)
Die extremsten verschwindenden, kaum noch existenten Figuren werden dann von Beckett endgültig realisiert.

Wie es scheint, hat Morgenstern überhaupt Rezepte, Programmentwürfe vorgegeben, die andere erst vollständig realisiert haben. Und das schon im Frühwerk, den Galgenliedern und ihren Nachfolgebüchern: Vorgezogene Endspiele.
Auch in Günter Eichs „Maulwürfen“ scheint sich einiger angewandter Morgenstern zu finden:
„Ich bin neugierig auf das Gerinke und die Aaben, auf Jusch, Stapp und Zarall, auf die Radine und das Raux. Ich glaube nicht, daß es Tiere oder Pflanzen sind oder Mineralien, eher Abstrakta, tauchen vielleicht auf, wenn wir die Zeit sehen können.“ Dazu immer wieder Reflexionen auf die Grammatik des gerade entstehenden Texts, ein weiterer Morgenstern-Anklang.

Neben den Figuren sind Abstrakta ein anderes Spielmodell in Morgensterns Galgenliedern. Besonders schön „Das Tellerhafte“, weil es von einem konkreten Gegenstand ausgeht und doch rätselhaft bleibt, eine Daseinsbedrohung  Lovecraftschen Ausmaßes.
Auch an die unheimlichen Bildgeschichten Edward Goreys kann man da denken.

Es gibt Vermenschlichungen und Wörtlichnehmen (also Eulenspiegeleien), Umbenennungen und Abstrahierungen, aber es gibt auch neue Schöpfungen.
Bei Morgenstern oft mit einem Namen oder einem neuen Begriff verbunden.
Neue Namen für neuentdeckte oder neuerschaffene Erscheinungen.
Die Namenslisten der Tierarten, die Möwe Emma. Gerne auch Eigenschöpfungen.
Er schafft teils neue Arten, teils Einzelwesen, Begleit-Tiere eines Gottes.
Hier denkt man an die anthroposophischen, teils komischen, teils sehr unheimlichen Tiergeschichten Manfred Kybers, eines anderen Anthroposophen. Sprachphantasie scheint zur Ergründung der Welträtsel hilfreich zu sein.

Und diese Kreationen bekommen oft einen eigenen Namen (siehe auch Douglas Adams, „Lexikon der Dinge, für die es bis zu diesem Buch noch keinen Namen gab“). Besonders schön Golch und Flubis. Auch deren Herkunft wird benannt, präzise und doch maximal unenträtselbar:
„die mir einst in einer Nacht / Zri, die große Zra, vermacht.“
Klingt da vielleicht Zarathustra mit?
Je näher man ein Wort ansieht, desto ferner sieht es zurück.

Sprachschöpferische Phantastik bei großer Konkretion der Erzählung.

Die Namen werden miterschaffen. Nach Jean Piaget nimmt das Kind an, die Dinge hätten ihre Namen schon bei sich. Das größere Kind nimmt an, die Dinge hätten ihre Namen von ihrem Schöpfer erhalten. So weit muß man bei Morgenstern zurückgehen. Zum Kind im Manne. Erst das größere Kind versteht, daß die Namen den Dingen willkürlich gegeben wurden. Bei Morgensterns Dichten handelt es sich immer wieder um urtümliche Schöpfungsakte.
Und zwar durch die Sprache.
Die Sprache bei der Arbeit: Im Anfang war das Wort.

Das Ereignis hat in der Sprache stattzufinden und nirgendwo sonst.

Einst saßen Idisen. Zaubersprüche lallend.
Einst saßen Iltisse.  Saß ein Wiesel.
Morgensterns Bildwelten werden allein durch Sprache schlüssig.

Das macht es schwer, Morgenstern zu akzeptieren in unserer Zeit der Sprachverbote, Sprachregelungen, Vorschriften, Tabus, der regulierten, kontrollierten und verordneten Sprache. Sprache darf kein Spielmaterial mehr sein, die Sprache muß sich der Ideologie unterordnen und sie vermitteln. Bei den aktuellen Blockwarten wird die Sprache genehmigungspflichtig. Unterliegt dem Kreativitätsverbot. Benennungsverbote. Keine Schöpfungsakte mehr.

Vielleicht ist er darum heute aktuell. Die Sprachreinigung muß scheitern, weil jeder Begriff von seinem Benutzer mit eigenen Vorstellungen ausgefüllt wird. Morgenstern gegen die Sprachpuristen:
„Wenn ich wüßte, welches Wort der Erde keine Vorstellung enthielte, so würde ich es dazu gebrauchen, das Wort Vorstellung zu überwinden.“ Die Suche nach dem archimedischen Punkt als Fernziel.

Aber auch für die Verkniffenen, die Sprachängstlichen,  gibt es ja einen Morgenstern, den traktathaften, schüchternen, immer gutmeinenden:
„Wir müssen recht viel Schönheit anschauen, damit wir selber schön werden“ steht auch in Frauenratgebern.

Auch das viel umfangreichere reflektierende, philosophische, anthroposophische ist Morgenstern. Nie zu extrem, nie die Grenze überschreitend, immer strikt jugendfrei. „Dem Kind im Manne.“ Selten brachial. Kein Wilhelm Busch. Wenig Tod. Selten wird der Leser erschreckt. Rare Gewaltsamkeiten wie im Gedicht „Der fremde Bauer“, der legendenhaften Schilderung eines plötzlichen Todes.

Von stets großer Lebenswürdigkeit.
Die Verhängnisse nicht zu hoch hängen.
Vielleicht ist alles nur Sprache.

Kritik der Sprache ist zuletzt auch nur ein Gesellschaftsspiel. Es gibt kein Wort, das außerhalb der Sprache noch irgendwelchen Sinn ergäbe. Wer sich außerhalb der Sprache setzen möchte, findet keinen Stuhl mehr.

Stufen

Die Ohnmacht der Dinge.
Die kosmischen Pläne.
Alles ist höheren Ordnungen unterworfen.
Am Ende findet alles Entscheidende im Alltäglichen statt:
das sanfte Gesetz.
Nichts schwer nehmen.
„Schön ist eigentlich alles, was man mit Liebe betrachtet.“

Das große nette Werk immer wieder geeignet. Auch für die Schullesebücher im Dritten Reich.

Die Selbstinterpretationen. Lustig gemeint. Valentinesk.
Als Parodie des Interpretierens.
Die Galgenlieder erscheinen damit fast schon die vorweggenommene Parodie seiner ernsten Werke.
Wechselseitige Zurücknahmen.
Schwer zu fassen.
Aus der Sprachskepsis entwickelt die Sprache den Trotz, die Welt zu formen.
Alles funktioniert in der Sprachlogik.
Keine Denktabus. Kantsche Philosophie läßt sich auch reimen.
Korf kann alles erfinden, was die Erzählung gerade braucht.

Viele programmatische Ansätze

Unter bürgerlich verstehe ich das, worin sich der Mensch bisher geborgen gefühlt hat. Bürgerlich ist vor allem unsere Sprache: Sie zu entbürgerlichen die vornehmste Aufgabe der Zukunft.

Aber dazu war er viel zu liebenswürdig.

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1 Comments on “Bemerkungen zu Morgensterns Extremitäten

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