An die Verächter der Wissenschaft

Antioch Kantemir

(russisch Антиох Дмитриевич Кантемир; * 10. September jul./ 21. September 1708 greg. in Konstantinopel; † 31. März jul./ 11. April 1744 greg. in Paris)

Erste Satire:
An die Verächter der Wissenschaft

An meinen· Verstand

Unreife Frucht flüchtiger Studien: mein Verstand,
Gib endlich Ruh, zwing nicht zu schreiben meine Hand!
Auch dem, der nicht schreibt, kann der Tag im Flug verrinnen,
Auch wer nichts selber schafft, kann dennoch Ruhm gewinnen,
Zum Ruhm will das Jahrhundert leichtre Wege zeigen,
Die mutge Füße ohne Straucheln aufwärts steigen,
Die größte Mühsal nimmt noch immer der in Kauf,
Der euren Pfad wählt, Musen. Mancher gab schon auf,
Weil ihn die Kraft verließ. Du erbst nur Schweiß und Leiden,
Poet, dich wird man wie den Aussatzkranken meiden.
Gelächter und Verachtung werden deine Gäste:
Wer über Büchern sitzt, erwirbt wohl nie Paläste.
Kein Park mit Marmorbildern wird sein eigen werden,
Und um kein Schaf vermehrt er die ererbten Herden.

Zwar unser junger Herrscher läßt die Musen hoffen.
Die Ungebildeten – sie meiden ihn betroffen.
Apollos Ruhm weiß er zu schirmen und zu wahren,
Apolls Gefolge selbst kann bei ihm Schutz erfahren.
Und seine Sorge ist’s, des Parnaß Volk zu mehren.
Ein Ärgernis nur bleibt, und keiner kann ihm wehren:
Wie viele loben überschwenglich das am Zaren,
Wogegen sie bei andern tadelnd sich verwahren!

Schisma und Häresie sind des Studierens Preis,
Der lügt am meisten, wer das meiste weiß,
Wer über Büchern hockt, wird sich vom Glauben wenden –
So seufzt die heil’ge Seele, Kriton. In den Händen
Den Rosenkranz, fleht er, man möge doch erkennen,
Daß uns von unserm Heil die Wissenschaften trennen:
Die Kinder, die so still und folgsam an uns hingen,
Gehorsam nach der Väter Art zur Messe gingen,
Mit Angst und Zittern hörten, ohne zu verstehen,
Wolln nun zum Leid der Kirche eigne Wege gehen,
Lesen die Bibel selbst, stelln Fragen, wollen denken
Und unsern Geistlichen nicht länger Glauben schenken.
Zur Fastenzeit trinkt keiner Kwaß. Nicht Stock, nicht Bitten
Bringt sie zum Pökelfleisch. Verloddert sind die Sitten.
Sie weihen keine Kerzen, halten keine Fasten.
Am liebsten wollten sie der Kirche Macht antasten.
Und raunen: Wer der Welt entsagt und ihrem Leben,
Soll sich mit Reichtum nicht und Landbesitz umgeben.

Silvan hat eine andere Gefahr erkannt:
Studiererei, sagt er, bringt Hunger übers Land.
Als wir noch nicht Latein erlernten, ja, in jenen Jahren
Lebten wir besser. Als wir ungebildet waren,
Hatten wir gute Ernten, litten keine Not.
Die fremde Sprache brachte uns um unser Brot.
Soll sich ein Edler seiner schlechten Sprache schämen,
Ob falschen Satzbaus sich, ob der Grammatik grämen?
Ach was! Für einen Mann von Stand reicht Ja und Nein.
Logik und Stil laßt niedrer Leute Bettel sein.
Will man der Seele Kraft, will man ihr Maß ergründen,
Des Weltalls Plan, der Dinge Grund und Ursach finden,
Muß man als Narr und neunmal tumber Trottel leben,
So dumm ist’s grad, wie Erbsen an die Wand zu kleben.
Mehrt es mein Geld, mein Leben nur um einen Tag,
Erfahr ich, was mir Vogt und Pächter stehlen, sag?
Kann es, wie man den Teich mit Wasser füllt, mich lehren,
Kann es die Fässer in der Kelterei vermehren?
Auch die sind töricht, die voll Unrast Feuer zünden,
Um, ruß’gen Augs, der Erze Wesen zu ergründen.
Auch wenn mich nicht ihr närrisch Wesen plackt und kleidet,
Weiß ich, wie man das Gold vom Kupfer unterscheidet.
Arznei- und Krankheitskunde – nichts als Gaukelwesen!
Schmerzt dich der Kopf? Der Arzt will es am Puls ablesen
Er simpelt, daß das Blut der Übel Ursach wär.
(…)

Daß man zu viel Papier verdrucke und verschreibe
Und daß am Ende nicht ein Blättchen übrigbleibe
Zum Lockenwickeln, so klagt Medor. Doch mitnichten
Würd für Senecas Werk auf Puder er verzichten.
Vergil sei nichts, der Schuster Jegor alles wert.
Nicht Cicero – Rex, unser Schneider sei geehrt.

Tagtäglich stürmen solche Reden auf mich ein,
Drum duck dich, mein Verstand, und lerne still zu sein.
Ist schon die Arbeit nutzlos und umsonst die Plage,
Begehrst du doch, mein Herz, daß sie dir Ruhm eintrage.
Doch handelst du zumeist statt Lob nur Tadel ein.
Weit schlimmer ist’s, als mangelte dem Trinker Wein,
Als wenn dem Popen man das Osterfest mißgönnte,
Der Kaufmann nicht sein Bier mit Hopfen würzen könnte.

Wohl weiß ich, mein Verstand, du kannst mir leicht beweisen,
Daß lasterhafte Menschen nie die Tugend preisen,
Geizhälse, Stutzer, Frömmler und dergleichen mehr,
Sie schmälen jede Art von Bildung seit jeher.
Wen schert’s, wen kümmert es, was solch ein Kläffer bellt?
Dein Rat, Verstand ist gut, wie aber ist die Welt?
Bosheit kann heut’gentags der Klugen Schicksal schmieden.
Und um nicht abzuschweifen, habe ich vermieden,
Zu sagen – und in Wahrheit auch, weil ich’s nicht wagte,
Wie boshaft man auch andre Wissenschaften plagte.
Reicht dies? Die Wächter vor dem Paradies
Und jene, denen Themis ihre Waage ließ,
Kaum einer liebt die Wissenschaft, die wahre Zier.

(…)

Willst du ein Richter sein, leg die Perücke an!
Sprich schuldig den, der für sein Recht nicht zahlen kann!
Ein hartes Herz verachtet stets der Armen Träne.
Liest man das Protokoll, so schlafe nur und gähne!
Jedoch, wenn einer auf des Staats Gesetz verweist,
Vor dir das Völkerrecht und das Naturrecht preist,
Erkläre, daß er lügt, und spuck ihm ins Gesicht,
Wenn er so Unerhörtes fordert vom Gericht –
Daß Sekretäre Aktenberge wälzen müssen:
Der Richter unterschreibt – mehr braucht er nicht zu wissen.

Vorbei die Zeit, da wir die Weisheit thronen sahn,
Sie ebnete zum Höheren uns allein die Bahn.
Durch sie nur könnten wir den Lorbeerkranz erlangen.
Der goldene Äon – wie lang ist er vergangen!
Dünkel und Reichtum hat die Wahrheit stolz bezwungen,
Unwissen hat bei uns der Bildung Rang errungen,
Stolziert im Höflingskleid, prunkt unter Bischofskronen,
Spricht Recht am Richtertisch, befiehlt den Bataillonen.

Nichts ist der Wissenschaft vom alten Glanz geblieben,
Aus allen Häusern hat man sie mit Schimpf vertrieben,
Wie einer, der leicht seekrank wird, die Seefahrt meidet,
Flieht man die Wissenschaft, jedem ist sie verleidet.
Nutzlos ist jede Bildung, schallt es ringsumher:
Sie füllt die Köpfe, und sie macht die Taschen leer.

(…)

Schweig still, Verstand, wenn du die Narren prahlen hörst,
Und gräm dich nicht, wenn du auch niemals Dank erfährst.
Denn frei von Angst, scheint es auch schwer, ist dessen Leben,
Der in dies Los sich schweigend hat ergeben.
Und jeder, dem der Weisheit Gabe ward zuteil,
Soll ihrer sich erfreun, doch halt er sie nicht feil.
Denn will er sie für andre Menschen nutzbar machen,
So erntet er kein Lob. Man wird ihn bös verlachen.

1729

Nachdichtung: Uwe Grüning

Aus: Chorus an die verkehrte Welt. Russische Dichtung des 18. Jahrhunderts. Leipzig: Reclam, 1983, S. 29ff

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