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Sibylla Schwarz (andere Schreibweisen: Schwartz, Schwartze, Schwar(t)zin [1]; Sibylle) wurde am 24.2.1621 [2] in Greifswald geboren und starb ebenda am 10.8.1638. Wegen Frühreife und frühen Todes nannte man sie die „pommersche Sappho“ und „die zehnte Muse“.
Sie stammte väter- und mütterlicherseits aus einer alten Greifswalder Patrizierfamilie, ihr Vater Christian S. war Bürgermeister und Landrat. In der Kindheit (1630) verlor sie die Mutter. Ihr kurzes Leben war vom Krieg mit aufeinanderfolgender Besetzung der Stadt durch kaiserliche und schwedische Truppen gezeichnet. Glückliche Umstände verhalfen ihr zu einer für ein Mädchen in jener Zeit ungewöhnlichen Bildung, sie eignete sich autodidaktisch Sprachen und antike Mythologie an und lernte die neueste deutsche Literatur mit den Schriften von Martin Opitz kennen. Mit 13 Jahren begann sie zu schreiben, Gelegenheitsgedichte ebenso wie fast den ganzen Opitzschen Formenkanon, geistliche und weltliche Lieder, Oden, petrarkistische Sonette, Epigramme, eine Schäferdichtung und ein Dramenfragment entstanden in nur vier Jahren, daneben einige Übersetzungen (Latein, Holländisch und Französisch).
Der aus Württemberg stammende Pfarrer Samuel Gerlach kam ab Mai 1636 für kurze Zeit möglicherweise als ihr Hauslehrer und Erzieher nach Greifswald und wurde ihr wichtigster Förderer. Gerlach wollte ihre Texte drucken, wofür das Anagramm-Pseudonym Sibyllen Wachsesternin von Wildesfragen (aus Schwartzin von Greifswalden) gewählt wurde. In einem Brief an Gerlach erwähnt sie einen offenbar geplanten Besuch von Martin Opitz, durch ihren Tod wenige Wochen später kam es nicht mehr dazu. 1650 gab Gerlach ihre Werke in zwei Teilen heraus.
Die Ausgabe machte sie zeitweilig berühmt, sie wurde in einschlägige Nachschlagewerke (Zedler, Paullini, Jöcher) aufgenommen. Daniel G. Morhof nannte sie „ein Wunder ihrer Zeit“, ein Mädchen, das „die Männer selbst in der Tichtkunst beschämen können“. Dann geriet sie in den Dunstkreis bloß lokalen Interesses und wurde bis auf wenige geistliche Lieder und Sonette vergessen. Das begann sich erst zu ändern, als Ziefle seine Biografie (1975) und einen kommentierten Reprint der Ausgabe von 1650 herausgab.
Sie wird der (ersten) schlesischen Dichterschule zugerechnet und gehört zu den frühesten Vertretern der neuen Dichtung im Gefolge von Opitz. Forschung und Kritik sprachen ihr neben dem Wunderkind- und Frauenbonus zu, eine Art früher Erlebnisdichtung („ein Zug frischer und wahrer Empfindung“, Welti 1888) verfaßt zu haben. Betont wird ihre „tiefe Religiosität“ und Werte wie Innigkeit und „schlichte Demut“ (Gassen).
Die feministische Forschung (zuerst in Übersee) begann nach „männliche(n) Wert- und Auslegungssysteme(n“) und ihrem Anteil am „Hervortreten weiblicher geistiger Autonomie“ (Ganzenmueller) zu fragen. Erika Greber liest die Sonette und Gerlachs Edition in der Nähe von Autoren wie Vittoria Colonna oder Veronica Gambara als (in Deutschland rare) Beispiele eines weiblichen und lesbischen Petrarkismus, in dem Imitation und Innovation zusammenfallen. Wenn nicht alles täuscht, hat sie es nunmehr in den Kanon geschafft, wie neben der Aufnahme in Anthologien Vertonungen, Schulprojekte und literarische Adaptionen belegen. Im Oktober 2013 befaßt sich erstmals eine internationale Fachtagung an der Universität Greifswald mit ihrem Werk.
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