Der lag besonders mühelos am Rand

Über das bekannteste Gedicht Walter Höllerers (der im Mai fast 80jährig verstarb) schreibt Michael Braun im Freitag 29/2003:

Es ist die fast emotionslose Nüchternheit dieses Gedichts, der kalte, fast anatomische Blick auf den Körper des toten Soldaten, die auch heute noch verstören. Kein Dichter der Nachkriegszeit hatte bis dahin so unsentimentale Verse für das Grauen des Krieges gefunden. Nun kam da 1952 ein noch nicht mal Dreißigjähriger und beschrieb das unerhörte Ereignis ohne jedes Pathos und in drastischem Realismus: „dieser Rücken / War nur ein roter Lappen, weiter nichts.“ Man hatte den jungen Walter Höllerer bis dahin als einen Schüler des Natur-Idyllikers Georg Britting wahrgenommen. Aber in diesem bewegenden Gedicht Der lag besonders mühelos am Rand kündigte sich eine neue Lyriker-Generation an: eine lakonische, zeitnahe, modernitätshungrige. Die Erschütterung des Beobachters vor dem Schrecken wird hier ja kunstvoll verborgen. Es regiert der sezierende Blick.

Hier das Gedicht:

 

Der lag besonders mühelos am Rand

Der lag besonders mühelos am Rand
Des Weges. Seine Wimpern hingen
Schwer und zufrieden in die Augenschatten.
Man hätte meinen können, dass er schliefe.

Aber sein Rücken war (wir trugen ihn,
Den Schweren, etwas abseits, denn er störte sehr
Kolonnen, die sich drängten) dieser Rücken
War nur ein roter Lappen, weiter nichts.

Und seine Hand (wir konnten dann den Witz
Nicht oft erzählen, beide haben wir
Ihn schnell vergessen) hatte, wie ein Schwert,
Den hartgefrorenen Pferdemist gefaßt,

Den Apfel, gelb und starr,
Als wär es Erde oder auch ein Arm
Oder ein Kreuz, ein Gott: ich weiß nicht was.
Wir trugen ihn da weg und in den Schnee.

Walter Höllerer

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