Die alte Metaphernfalle

Nachstehender Essay der Lyrikerin Luise Boege klingt wie eine (unwirsche) Antwort auf den Bericht von Kaspar Renner über die Berliner Veranstaltung „Dichtes Gerede“ (Vgl. L&Poe 2008 Mai #26. Gedichte mit „wie“). Aber es ist umgekehrt – es ist ihr Beitrag auf der Veranstaltung, auf der der SZ-Berichterstatter Benn fand bzw. vermißte.

Sein Bericht endete so:

 

„Viele von ihnen flüchteten sich hilflos in Privatsprachen, etwa in eine berlinerisch gefärbte Alltagssprache wie Kirsten Fuchs, die jede poetologische Frage mit der saloppen Forderung nach „Spaß“ beantwortete, in einen gangsterhaften Jugendslang wie Hendrik Jackson, der Textverfahren als „Moves“ kennzeichnete, oder aber in einen Wissenschaftsjargon, der sich bildungsgeographisch irgendwo zwischen dem Studiengang Kreatives Schreiben in Hildesheim, dem Leipziger Literaturinstitut und der Angewandten Theaterwissenschaft in Gießen verorten lässt. / Kaspar Renner „

 

Ich frage mich, was ein Schriftsteller mehr ist als ein schreibender Mensch, und ich frage mich, ob und was er mehr braucht, außer ein bisschen bescheinigtem Talent und einer Menge Kunstverstand. Und was bleibt, wo es sich doch sowohl beim Talent als auch beim Kunstverstand auch um so etwas wie Geistesgestörtheiten handeln könnte. Beidem kann man nicht trauen.

 

ERSTENS

Kunstverstand habe ich nicht. Ich weiß nämlich nicht, was Kunst ist und was nicht. Ich weiß nicht, ob es Dinge gibt, die Kunst sind und welche die keine sind. Ob Kunst überhaupt existiert, wie im Schwimmbad das Schwimmerbecken mit Sprungturm oder wie der liebe Gott im Himmel. Wie kann man darüber reden und wie kann man den Begriff Kunst mit dem Begriff Verstand zusammenführen. Letztendlich ist es eine Entscheidungsfrage. Ich entscheide mich dafür, an eine der Möglichkeiten zu glauben. Entweder, ich rede über Kunst wie über das Schwimmerbecken. Es muss das Schwimmerbecken geben und nur dort bin ich als Schwimmer richtig. Also frage ich nach dem Weg oder dem Seepferdchenabzeichen oder was weiß ich. Oder ich rede über Kunst wie über den lieben Gott, und das ist dann leider auch nur Gerede und die Mühe ist groß, dabei nicht zum Esoteriker zu werden, was vielleicht verhindert wird, wenn ich mich auf Leute berufe, die ich für Instanzen halte, weil sie zum Beispiel Freunde von mir sind oder schon länger auf dem Gebiet unterwegs. Oder ich habe keine Ahnung von Kunst und dem Wissen darum, und brauche auch nichts, das an eine Definition von Kunst heranreicht. Also soll für mich das Lesen und das Schreiben sein wie das Ballwerfen. Jeder sollte einfach dürfen, wie er kann. Ich kann mir keinen idealen Text vorstellen. Sicher kann man nie sein.

 

ZWEITENS.

Jeder sollte einfach, wie er kann. Los. Ich fühle mich, wenn ich dann da so am Schreiben bin, nicht, als ob ich wirklich mache, wie ich kann. Ich kann zwar, aber ich bin eine Betrügerin dabei. Ich setze mich zudem so selten zum Schreiben hin, dass ich jedes Mal das Gefühl habe, das Schreiben neu erfinden zu müssen. Dabei denke ich, okay, das mache ich jetzt einfach mal so, denn so wird das Blatt voll. Beim nächsten Mal versuche ich was Richtiges. Eigentlich müsste etwas anderes dastehen. Die meisten Gedichte (ich meine auch die, die ich lese) kommen mir vor, wie beliebige Bäume, an die jemand ganz viel Schmuck gehängt hat. Schmuck habe ich und den Baum finde ich schon irgendwo. Den behänge ich einfach, und der Schmuck und der Baum, das ist dann alles von mir. Schmuck bedeutet für mich alles, was das Talent, oder sagen wir, Sprachgespür, kann. Die Stilmittel, Zeilenbrüche, mit oder ohne System, Vokalketten, Metaphern, Bilder, die Funde, die man so findet und umsetzt, und so weiter. Es gibt für mich persönlich inzwischen auch keine Abstufungen mehr, Schmuck ist nur Schmuck und der Schmuck muss runter, es geht in den Wald. Schmuck, das sind für mich auch die Themen, die man sich vorknöpft oder einbildet und verwendet oder abarbeitet. An Fingerübungen an sich ist nichts verkehrt. Aber auch Fingerübungen ohne Betrug gibt es bei mir nicht. Da finde ich dann sozusagen den Weg ins Schwimmerbecken nicht. Ich tue so, als hinge mein Herz an einem Thema dran und ich tu so, als wüsste ich, wovon ich rede, wenn ich sage, dass ich zum Beispiel gerade Begriffe aus dem Reich der Physik faszinierend finde. Das kann mir nämlich auch keiner nachweisen, ob ich das wirklich tue. Denn ich kenne bislang nur entweder Physiker, und die lesen meine Texte nicht, sondern freuen sich, dass ich mich so dafür interessiere, obwohl ich nichts davon verstehe. Mich freut das ja auch. Oder ich kenne Lyriker, zum Beispiel, und die kennen sich nicht mit der Physik aus, sondern finden vielleicht auch, wie ich, bloß die Worte hübsch und die Welt mit ihren Phänomenen voller Poesie. Leider kann keiner von uns rechnen. Dafür können manche leidlich den Daktylus vom Anapäst unterscheiden oder sich in der Grammatik bewegen, was schließlich auch irgendwie Mathematik und damit auch Physik ist. Letztendlich hängt alles zusammen, das gibt uns das Recht, uns überall zu bedienen, also lasst uns weiter reden über Sprache und Mathematik. Ich ziehe jedenfalls den Hut vor allen, die tief und recht in die Dinge dringen.

Es läuft wohl darauf hinaus, dass ich zu faul bin. Es ist viel einfacher, irgend etwas anderes zu schreiben, das nicht von mir ist, nicht mein Thema und auch nicht meine Sprache. Denn ich selbst kann mich nicht ausreichend in meiner Sprache ausdrücken und das Ringen mit der Sprache ist mir sowieso auch viel zu mühsam. Ich müsste lügen, würde ich sagen, dass es ein Kampf für mich ist, zu schreiben, ein Aufbäumen und Haareraufen vor jedem Wort. Nein. Zur Ehrlichkeit bin ich entschlossen und die beginnt damit, dass ich mir die Lügen eingestehe: Nein, es ist kein Kampf. Entweder es geht flott oder mir fällt gar nichts ein. In erstem Fall flattert ein Engel vorbei und ich bin eine Betrügerin, anders ausgedrückt, ich bediene gerade so eine Masche. Im zweiten Fall, wenn mir nichts einfällt, mache ich halt einfach erstmal doch etwas anderes und es geht mir nicht schlecht, nur weil ich gerade nicht schreibe, und dass ich ein schreibender Mensch bin, sage ich mir, weiß ich ja. Denn das ist immer so gewesen. Warum soll ich denn da eine Frage nach dem Warum beantworten können?

 

DRITTENS.

Auf, also in den Wald, wo die Bäume stehen. Was macht den Baum aus? Ich komme auf die Antwort: Sprache, denn wovon spreche ich schließlich, und Charakter. Folgende Ideologie: Ein Text ist immer nur so gut, wie der Charakter seines Schreibers. Schließlich merkt ja jeder Popmusikkonsument, dass es Produkte ohne Charakter und welche mit Charakter gibt. Groß ist, wenn man etwas zu sagen hat, und es schafft, das zu tun. Aber es gibt nichts, was nicht Stoff sein kann, wenn man stark genug ist, dem zu begegnen. Dasselbe gilt für die Sprache. Sie mag da sein, muss aber ausgefüllt werden von dem, was ich hier Charakter nenne. Will ich also, so geht meine Ideologie, auf einen grünen Zweig kommen, ist es hilfreich, am Charakter zu arbeiten. Was der Charakter für jeden einzelnen ist, kann ich nicht beantworten. Dieser Frage allerdings ausgesetzt, komme ich für mich zu dem Ergebnis, dass ich einfach keine gute und überhaupt keine Schriftstellerin bin, weil es in meinem Denken, in meiner Lebensweise zu viele Knoten gibt und ich ein schwacher Charakter bin. Es ist also anzustreben, aufrecht durch die Welt zu gehen und genau das ist zu tun, wenn ich tun will, was ich tun will.

 

VIERTENS

Also aufrecht. Ich bin keine Schriftstellerin. Es besteht ein gewaltiger Zweifel, ob ich in Wirklichkeit überhaupt noch ein schreibender Mensch bin. Dass ich bisher ein Mensch gewesen bin, der schreibt, kann auch nichts als ein Zufall gewesen sein. Bisher habe ich nie ausprobiert, ob es mir fehlen würde, was ich Schreiben nenne. Weil ich schon immer geschrieben habe, mich aber einer existentiellen Situation zum Beispiel nie habe stellen müssen. Erkenne, dass du nichts zu sagen hast. Also jetzt die Fresse halten. Es gibt keine Texte, die ich versäume.

Aufrecht schien mir: Mit dem Schreiben aufzuhören. Alles andere ist gerade gleich wertvoll, um seine Zeit damit zu verbrauchen. Sinnvoll: Mir eine Beschäftigung zu suchen. Vages Ziel dabei, meine erworbenen Halbqualifikationen anzuwenden und zu sehen, was man denn sonst noch so machen könnte im Leben, wenn das Dichten quatsch ist. Also erstmal tun, was erwachsene Leute tun, um Geld zu verdienen. Ghostwriter zum Beispiel erschien mir eine gute Tätigkeit, um mit der Unaufrichtigkeit, die mir scheinbar eigen ist, so aufrecht wie möglich durchs Leben zu gehen.

 

FÜNFTENS

Ich war dann erstmal Praktikantin bei einer obskuren Firma für alles Mögliche. Ich versuchte mich im ghostwriten und werbetexten, für eine Turnschuhfirma und eine Zahnarztpraxis. Ich nahm an, dass mir dies mit Leichtigkeit gelingen würde. Ich schaffte es, den Text über die Zahnarztpraxis mit Schmuck vollzuhängen und „who-the-fuck-is-the-reader“ – Allüren einzubauen. Dafür erwartete ich eigentlich Lob. Ich dachte: Das haut die bestimmt um. Das kennen die hier nämlich gar nicht. Die meisten Leute kennen ja keine junge deutsche Literatur und keine „who-the-fuck-is-the-reader“-Allüren. Man sagte mir schlicht, da sei zuviel Kunst drin, ich solle in Hauptsätzen schreiben, sonst verstünde mich keiner, der Text diene der Informationsvermittlung und ich litte anscheinend unter einer Grammatikschwäche. Ich hätte so ein Dativ- Akkusativ- Problem. Außerdem sei dies eine Kritik an meiner Arbeit und nicht an meiner Person. Schließlich sei ich hier um zu lernen, nicht wahr?

Alles in allem ist, was ich momentan tue, ein wirklich großartiger Selbsterfahrungstrip.

Ich lerne: Ich habe ein Grammatikproblem. Auch, dass die Literatur in der echten Welt keinen angeht. Echte Dinge: html, Programmiersprache in Ansätzen, small-talk, wie geht man mit einem Bestimmungsbuch für Insekten um. Ich lerne, dass mich die Literatur angeht und dass ich sie liebe. Je weniger ich mit Literatur zu tun habe, umso mehr freue ich mich auf und über das Buch, das ich gerade konsumiere, ich genieße es, zu lesen. Aber ich genieße es auch, nicht immer darüber reden zu müssen, keine blöde Leseliste zu haben, voll mit Büchern, die ich einfach nicht verstehen kann und die mich eigentlich auch nicht interessieren. Nachts stehen mir Bilder- und Wortkolonnen im Kopf und alles scheint mir wert, aufgeschrieben zu werden, und zwar von mir. Je weniger Zeit ich habe, denn ich bin ja meinen Jobs verpflichtet, umso mehr wünsche ich mir, endlich mal wieder meinen Kram machen zu können, wie ich kann und wie ich will, und nicht immer irgendetwas anderes machen zu müssen.

 

SECHSTENS

Noch etwas zur Sprache: Abgesehen davon, dass es mir einfach an Schreibübung und -erfahrung mangelt, scheint es mir nötig, Sprache bewusst zu erleben und zu erlernen. Sprache ist überall, außer da, wo Sprachlosigkeit ist und was dort ist, weiß man ja nicht. Sprache ist unzureichend und es gibt viele Grenzen und Grenzgebiete. Ich glaube, beim Schreiben zieht es mich eigentlich zu einem der Grenzgebiete hin, ohne dass ich mich darin schreibend wirklich ausdrücken oder erkennen könnte, weil ich tue es ja mit Sprache und Sprache ist eben nichts anderes als Sprache, sie ist nicht Mathematik und auch nicht Musik, sondern sie nichts anderes als unzureichende und ungenaue Sprache. Aber Sprache ist angrenzend, überlappend, eben weil sie nicht für alles genügen kann. Die Sprache ist Alltagsinstrument, sie ist voller Hilfsmittel und Metaphernfallen. Darum tut es gut, sich konkret in einem der streng umzäunten Zwischenbereiche, etwa in einer Programmiersprache, oder einem der der Sprache angrenzenden Bereichen, etwa in der Musik, zu bewegen. Nicht zuletzt finde ich es wichtig, sich nicht ununterbrochen von seiner eigenen verwaschenen Sprache überwältigen oder beeindrucken zu lassen. Das ist zu einfach. Man kann Sprache erleben und man muss sie benutzen, um zu ihr vorzudringen.

 

SIEBTENS UND ERSTENS:

Ich betrachte das Schreiben und die Literatur als mein Ding, das muss erstmal reichen. Vielleicht ist es ja auch nicht mein Ding, aber dann ist alles andere genauso wenig mein Ding. Es ist ja alles erlaubt, was man will, es gibt keinen besten Text. Ich habe keine Lust auf Ehrfurcht und will nicht Konsument zu sein und mich an der Literatur, ihren Mitteln und großen Namen bedienen. Es gilt, etwas hineinzustecken, sicher kann man nie sein, dass alles klappt.

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