Kategorie: Österreich

als mir die sprache abhanden kam

als mir die sprache abhanden kam
vielleicht trank ich gerade kaffee
oder schlug eine zeitung auf.
vielleicht zog ich die vorhänge zu
oder sah auf die straße, als sie
mich verließ, ich dachte noch,
was für ein röcheln

Rufe zur Nacht

Ich, der Dichter Jesse Thoor –
dem Zünglein, Zeh und Ohr
und die Seele fror!

Wer denn?

wer ist denn schon zu hause
wenn er bei sich ist
wer ist denn schon bei sich
wenn er zu hause ist

im anfang war nichts

alles erstand aus dem nichts und das nichts mehrte sich aus der mehrung kam der gedanke • aus dem gedanken kam die erinnerung • aus der erinnerung das begehren

Dem dunklen Gott

Die heimlichen Hüften einer Hindin
regen süß mein Gebüsch auf.

Mayröcker 100

die lilies Magnolienfelder, von oben
von irgendwoher ich glaube aus verhülltem Gezweig diese
einzelne Stimme mich durchdringt : mein unsichtbarer
Liebster in dieser Baumkrone ach jubiliert!

Ghettolied

RACHEL, o Rachel, die Welt ist so schön;
Rachel, sag‘, hast du die Welt schon geseh’n?

Kurze Gedichte

Ich liebe eben kurze gedichte, sage ich geistesabwesend
Diese bedenkenlosen existenzen mit runden kanten
Muss es ein langsames gedicht sein?, fragt der horizont

POESIEALLEE: GEDICHTE FÜR FRIEDHÖFE

Ein paar Blätter noch
Die sich festklammern
An einem dünnen Ast
Der sich festklammert
An einem dürren Baum
Der sich festklammert
An einem losen Boden
Der sich festklammert
An der Welt

ich gurre, ich schnurre

jetzt versagt mir die sprache die hilfe,
die worte sind grau wie die tauben,
die ihr nest vergeblich behüten.

benenn sie jetzt dichter nenn sie beim namen

wenn körper sich ihrer seele bis in die letzte pore
gewiss sind als treibgut leib und sinne eins
trotz allem die vielfarbigkeit von dreck aushalten

Frau Sisyphus

waschecht und flexibel
robust wie ein reibfetzen

Die Vierzeiler vom 24. Juli

Die Nacht
am Abend,
Mond-hell
wie am Tag.

Da ich an mir müd geworden

und aus allen fernen Weiten
(da ich an mir müd geworden)
bringst du Tage, bringst du Jahre –

Lieb ich dieses Wunderbare?
oder deine lichten Haare?

Hau jetzt ab samt deiner Nüchternheit!

Trau der Mannschaft deines Seglers zu,
daß sie tüchtig aus der Trunkenheit
aufstehn könnte, jeder einzeln aufstehn,
jeder noch bis übers Kinn besoffen,
aber hingehn und das Seine tun!