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Veröffentlicht am 29. November 2022 von lyrikzeitung
Joseph Roth
(* 2. September 1894 in Brody, Ostgalizien, heute Ukraine; † 27. Mai 1939 in Paris)
Natur Hinter den Häusern der Stadt, dort wo die Verbotstafeln stehn, beginnt Gottes freie Natur, die den Menschen gehört. Parzelliert und in Grundbüchern eingetragen sind die Quellen, die Äcker, die Wälder, der Wind, die Tannen, die Eichen, die Buchen, die Linden, die Hasen, die Hirsche, der Lerchenschlag, der Mond in den Nächten, die Sonne am Achtstundentag und die Vögel, die, von Sorgen angeblich unbeschwert, die segensreiche Ordnung dieser Welt verkünden — — Leibeigene Eichkätzchen springen auf Eichen, als wären sie unabhängig vom Kapital — — und wissen nicht, daß unterdessen Förster ohne Zahl auf hinterlistigen Pfaden zum Schießen schleichen — — Nur die Schriftsteller wandern umher und werden Wunder gewahr und schreiben Gedichte, Skizzen und Romane, sie leben in ihrem göttlichen Wahne und sterben vom menschlichen Honorar.
Aus: 50 Gedichte der Neuen Sachlichkeit. Hrsg. Gabriele Sander. Stuttgart: Reclam, 2022, S. 65
Kategorie: Österreich, DeutschSchlagworte: Joseph Roth
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