Auf unverständige Poeten

Auszug aus Benjamin Neukirchs ((* 27. März 1665 in Reisen, heute Rydzyna in Schlesien; † 15. August 1729 in Ansbach) gleichnamigem Gedicht

Hast du, Lysander, Witz, so folge meinem Rat:
Der ist der klügste Mann, der nichts geschrieben hat.
Laß einen Kirchenschwan Bär, Schaf und Rinder reimen,
Laß einen Bavius von Heldenthaten träumen,
Vertrag im Madrigal hirschfeldischen Verstand,
Erheb den Schäferton von Kärnth und Bayerland,
Und wenn ein Nordenhals mit rauher Kehle knastert,
So sprich, daß er den Weg zum Musenberge pflastert,
Und daß er doch dabei mehr süße Lieblichkeit
Als Hofmannswaldau kaum und Opitz ausgestreut.
Gieb alles willig zu und laß die blinden Schützen
Um ihren Lorbeerkranz mit eignem Lobe blitzen;
Inzwischen tröste dich bei deiner klugen Pein
Mit griechischer Vernunft und sittlichem Latein
Und trachte den Verstand der Alten zu ergründen,
So wirst du, was du suchst und was uns mangelt, finden.
Denn geh und werde klug und setze dich zur Ruh‘
Und sieh der Kinderlust mit Männeraugen zu,
So hast du, wenn du willst, bei täglich neuen Sachen
Papiere zum Toback und Zeug genug zum Lachen.
Doch wo das Dichtersalz dich in den Adern jückt
Und dich ein böser Geist aus deinem Zirkel rückt,
Der dich im Sprunge will zum Flötenritter schlagen,
So fang es endlich an mit halber Furcht zu wagen,
Versammle, wo du kannst, der Jugend alten Graus
Und pflanze Stück auf Stück und mach‘ ein Buch daraus;
Denn stirb, so glaubt die Welt, daß mehr mit dir verdorben,
Als am Homer Athen, Rom am Virgil gestorben.
Schau, dieses ist der Weg, der dir bisher gefehlt
Und dennoch deinen Geist auch nicht zu Tode quält.
Schieb andern Müh‘ und Schweiß in ihren Jammerbusen;
Ein ausgeführtes Werk ist nur für Bettelmusen,
Und der hat wahrlich mehr als mancher Fürst gethan,
Der seinen Unverstand mit Kunst verbergen kann.

Das ganze Gedicht hier

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