121. Meine Anthologie 45: Adolf Endler, Besuch aus Moskau 1955

Besuch aus Moskau 1955

Fadejew! – Paustowski! – Korneitschuk!
Issakowski! – Bashan! – Schtipatschtow*!
Ketlinskaja! – Kassyl! – Katajew!

>>Ach, lebt die Achmatowa noch?«

Bek! – Lebedew-Kumatsch! – Sjomuschkin!
Scholochow! – Polewoi! – Lugowskoi!
Surkow! – Schaginjan! – Libedinski!

»Und lebt die Achmatowa noch?«

Perwomaiski! – Fedin! – Lukonin!
Ja, sie lebt!, nun hören Sie doch!
Assejew! – Ashajew! – Fadejew!

»Sie lebt, die Achmatowa, noch?«

Adolf Endler, Der Pudding der Apokalypse. Gedichte 1963 – 1998. Frankfurt am  Main: Suhrkamp 1999, S. 68.
10 Gedichte können Sie lesen und sich vom Autor vorlesen lassen bei www.lyrikline.org

Zum Verständnis des Gedichts muß man nur wissen, daß die große russische Lyrikerin Anna Achmatowa fast 50 Jahre „vor den Augen ihres Lands“ verborgen wurde.

*) Schtschipatschow, beliebter sowjetischer Lyriker. Vgl. das Gedicht „Der Engel“ von Jewtuschenko:

Jewgeni Jewtuschenko

Der Engel

Ich trinke nicht! Ich liebe meine Frau.
Ausschließlich meine, ich betone das.
Ich bin ein Engel. Fehlte nur noch, dass
ich Stschipatschows Gedichte wiederkau.

Das ist ein Leben! Ich bin müd und matt:
Verhüllt, ihr Fraun, die Täler und die Hügel.
Da ruckt es doch und zuckt im Schulterblatt,
aha, s’ist der linke Flügel.

Was tun? Was tun? Ich lebe so dahin.
Die Flügel wachsen, es kursieren Witze:
„Schon gehört, der Schneider macht ihm in
die Hemden, Jacken, Mäntel jetzt die Schlitze.“

Ich schlucke das. Weil ich ein Engel bin,
halt ich dem Schläger auch die zweite Backe hin.
Ich bin ein Engel. Daß ich rauch
beweist nichts andres als: die Engel rauchen auch.

Ich wiege nichts mehr. Ich bin reiner Geist.
Ich schwebe überm Pflaster wie ein Hauch.
Ich schwebe, schwebe. Niemand dreht sich um.
Was können die Frauen schon an mir sehen.
Ich bin ein Engel. Ich muss vorerst stumm
erdulden, wie sie lustlos weitergehn.

Mein Dienstgrad ist im Himmel eingetragen,
als Engel bin ich höhern Orts bekannt.
Jedoch bedenkt: Zu dem sie Satan sagen,
der war als Engel Luzifer benannt.

(Ungefähre Mitschrift von der Schallplatte „Jazz, Lyrik, Prosa„, 1967. Die meist satirischen Texte dieser Platte, vorgetragen und gesungen von bekannten Schauspielern wie Manfred Krug und Eberhard Esche, kennen viele bis heute fast auswendig.)

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