87. Nahbeller?

Leserbrief zu Nachricht 84:
ach, Dr. Michael Gratz, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Lyrikerin vor der Publikation  dieser Scherzkeks-Meldung zugestimmt hat. Da hört es für mich mit „lustig“ auf!
Wilhelm Fink, Hamburg

Lieber Wilhelm Fink,
in diesem Punkt bin ich nicht Ihrer Meinung. Obwohl Sie in einem Recht haben: ich habe Angelika Janz nicht gefragt, sondern die Nachricht sofort veröffentlicht. Ich halte das nicht für einen Scherz (es sei denn im Sinne von Goethens „sehr ernsten Scherzen“. So sprach er über den unpublizierten Faust 2, den er einer Welt nicht anvertrauen wollte, über der er verwirrte Lehre zu verwirrtem Handeln walten sah). Sie, lieber Wilhelm Fink, haben das Walten unseres Literaturbetriebs wahrlich am eigenen Leibe erfahren. Ebenso wie Angelika Janz. Während zu dieser Stunde die Agenten der großen Verlage auf die Siegerkürung in Klagenfurt warten, müssen Sie sich mit dem Selbstverlegen Ihres Werks abmühen. Der österreichische Autor Franzobel hatte zehn Bücher im Eigenverlag oder in (aus Sicht des deutschen Literaturbetriebs) kleinen österreichischen Verlagen publiziert. Das elfte Buch erschien 1995 bei Suhrkamp – kurz nachdem er den Bachmannpreis gewonnen hatte. – Franzobel scheint nicht klug geworden zu sein, denn einen Teil der frisch gewonnenen Knete steckte er in ein Gedichtbuch von Angelika Janz: Schräge Intention. Gedichte. edition ch, 1995. (Welche deutsche Feuilletonredaktion liest Bücher aus solchen Verlagen?) Neugier auf Literatur von nicht durch Marktgerechtigkeit abgesicherten Autoren ist keine Kardinaltugend. Zumindest müssen sie jung und-oder nachrichtenträchtig sein.
In dieser Lage finde ich Aktionen wie die diversen des Instituts für Ganz&GarNix erfrischend und sogar notwendig. Vor fünf Jahren zeichnete der Berliner Autor Tom de Toys sich selbst mit dem ersten Lyrik-Nahbellpreis aus. (Nur die Lumpe sind bescheiden – Goethe). Die zehn Millionen hat er offenbar nicht bekommen. Erwartungsgemäß (aber vielleicht gibts ja doch verrückte und visionäre Mäzene?) Die weiteren Preisträger:
RoN Schmidt (2001), stan lafleur (2002), HEL ToussainT (2003), Alex Nitsche (2004), Angelika Janz (2005).
Eine respektable Liste – und das ist kein Scherz!
Hier noch eine Selbstauskunft von Wilhelm Fink:
Mein 3. Lyrikband – ZündelZeilen – ist in Druck. Als INFO für die gestauchte Prosa des Lyrikers setze ich eine Probe (Selbstdarstellung) für Sie drunter.
bei Hitze grüßt aus Hamburg – Wilhelm Fink
Selbstauskunft. – – Bisher bin ich nur bei  Radio Bremen mit einer eigenen Performance vertreten – es gibt im Leben einfach verschiedene Spannungsgrade, da sind Gegensätze, -Teilhabe an Welten höherer Geister (Steiner), – dann den Verzicht auf Neugier, – – Menschen schotten sich ab, sie nehmen Vorlieb, manchmal ist es nur noch der materielle Stoffwechsel, dem sie sich hingeben, was sie noch  äussern, ist beschränkt auf das Schlichte, – etwa in der Art, wie Kutscher sich Kurzwörter zurufen beim Peitschenknall – oder – bewusstseinserweiternde Exerzitien unter Einnahme aufhellender Substanzen – mag sein, dass am Ende lauter überbelichtete Fotos zerrissen auf dem Teppich liegen – Zitat – bei Geisteskrankheiten hilft manchmal schweißtreibender Sport, harte körperliche Arbeit oder positive Ablenkung ganz allgemein – ausserdem gibt es Menschen, die mit ihrer einfühlsamen Art fähig sind, Leiden zu relativieren – Bewegung und Abwechslung führen zu einer gesunden Mischung zwischen ernst nehmen und nicht zu ernst nehmen – eine solche Mischung kann „Gepackte“ zum auspacken bewegen  – – denk‘ doch nicht mit langsamen Geist was der Klügere womöglich tun könnte, gedankenschwer handlungsarm blickt er in das Weiß, in den fallenden Schnee, unablässig dort die bleischwere Wiese selbst das Blau und Gelb der frischen Stiefmütterchen vom Märzwinter zugedeckt, begraben liegt der Denkende da, dem die Geistwelt zum Rodelfeld wird, während andere erst Glühwein trinken und dann finnischen Wodka die Stelle wärmen lassen, wo vor der Eiszeit das Herz saß.
Nahbellpreis für Alex Nitsche s. L&Poe Jun 2004

2 Comments on “87. Nahbeller?

  1. tut mir leid, kleine korrekturen nötig, die sich erst dank einer frischen sms von nitsche klärten!!!! HIER DIE ENDVERSION:

    G&GN-Pressemeldung für die Lyrikzeitung:

    SMS-INTERVIEW & -PDF-PUBLIKAT MIT 5.NAHBELLER (2004) ALEX NITSCHE

    Im August 2012 trafen sich der bei Bremen lebende Alex Nitsche und der Neuddorfer Tom de Toys am Düsseldorfer Altstadtufer erstmals nach einem Jahrzehnt wieder, als Nitsche unterwegs zu Ron Schmidt an den Niederrhein war, um deren Gedichtband „GOLD“ zu konzipieren. Seitdem schicken sich Nitsche & De Toys Gedichte per SMS. Daraus entstand die Idee, Nitsches SMS-Gedichte in der Edition P.D.F. (Poemie Digital Fusion) zu veröffentlichen. Vorher wird derzeit das Nahbell-Interview mit ihm per SMS geführt, das sich dann 2014 im Anhang des PDF-Publikats (Titel: „alles und alles“) wiederfinden wird:

    http://poemie.jimdo.com/nahbellpreis/preistr%C3%A4ger-portraits/interview-pdf-publikat-2014/

    AUSZUG AUS DEM INTERVIEW (UNTERSEITE @ http://www.NAHBELLPREIS.de):

    5.NAHBELLFRAGE (7.12.2013):
    Du bist ja durch das ddr-system staatlich geprüfter dichter. Hat dir das damals für dein prestige irgendwelche vorteile eingebracht? Oder galtest du als schräger intellektueller und wurdest von der stasi bespitzelt? Was hälst du von heutigen literaturinstituten wie dem leipziger?

    5.NAHBELLANTWORT (7.12.2013):
    in den späten 80er jahren der ddr gab es soetwas wie eine geduldete opposition die natürlich bespitzelt wurde.mein politisches erwachen und meine ersten gedichte fallen in diese zeit.ich war damals 16,17, ziemlich jung und punk was 1988 auch im osten nichts wirklich außergewöhnliches war.über die bedeutung des literaturinstituts,frag mal nen historiker und keinen zeitzeugen.

    8.NAHBELLFRAGE (8.12.2013):
    Dein kommender sms-gedichtband „ALLES UND ALLES“ (oder titel klein geschrieben? was ist dir lieber?)* im g&gn-verlag wird von einem titellosen gedicht eröffnet, das du am 31.8.2012 als sms gesendet hast, ich zitiere es hier vollständig als exklusives preview:

    „unterm schweißfilm der oberflächen arbeiten zufall und schicksal an ihrem gewebe aus liebe und raum wo wir vergangne jahre zu goldfäden spinnen die kaum sichtbar sind dünner als haar und schwerer als blei.“

    Was hat dich dazu inspiriert? Kannst du den leser ein wenig in das geheimnis des entstehungsprozesses einweihen? Wer oder was dich inspirierte und wie es entstand: als allmähliche schwere geburt oder urplötzlich in einem guss oder wie sonst?

    * Nitsches Antworten auf die Frage nach der Orthografie seiner Gedichte:
    „immer alles klein“ und „Nitsche nur echt mit punkt am ende.“ (8.12.2013)

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