Lebenslauf eines Buches

Alfred Richard Meyer alias Munkepunke

(* 4. August 1882 in Schwerin; † 9. Januar 1956 in Lübeck)

LEBENSLAUF EINES BUCHES

1.
Man wird gedichtet, gedruckt und fliegt in die Welt – :
Eitel Jugend, Begeisterung, Strophen und Lieder.
  Man wird verhandelt, verschandelt für Geld.
Eines Tags findet man sich auf einem Wagen wieder.
Da greifen begehrlich Hände und Finger nach dir,
  Fragen nicht, ob der Nexus auch ein causaler,
Kümmern sich die Bohne um Aldus und Elzevir,
  Sondern entscheiden sich für die Courths-Mahler.

Von wegen! Soll ich noch deutlicher quatschen?
Da hilft keen: Krepanse kriegen, Krakehl und Kränke!
Man ist in der Krabblage mittenmang zum Betatschen.
"Bücher sind noch immer die billigsten Geschenke!"

II.
    So denkt auch Fräulein Eulalia Miesekitz
Und bestimmt dich als Geschenk für ihren Zukünftigen.
  Im Vollbewußtsein von deinem Geistesblitz
Kommst du leider zu keinem der Allzu-Zünftigen.

Im Geigenteel – : für ihn sind Bücher nur Schmöker!
Und in dir – weißt du selbst – schmökerts sichs mau.
Doch erspart wird dir ein weitrer Weg zum Verhöker.
Man verschenkt dich bei Gelegenheit einer andren Frau,
Beweist dabei, daß man literarisch sehr auf der Höhe.
Eigentlich nur deshalb wirft sich die Holde ihm an den Hals.
  "Je magrer der Hund, desto fetter die Flöhe!"
  Tröstest du dich, abseits gelegt, allenfalls ...

III.
  Eines Tags leiht dich ein anderer Jüngling aus,
Aber denkt garnicht daran, dich jemals zurückzugeben,
Du bist ihm Weinhaus, Frühlingsstrauß, Hochzeitsschmaus.
Er stammelt: "In dir sehe ich mein eigenes Leben!
Dein Feuer entzündet die Flamme meines eigenen Hirns!
  Auf ewige Freundschaft, du göttlicher Bruder!"
Und los surrt die Verse-Spule des Dilettanten-Zwirns.
Was dabei raus kommt, ist – unter Brüdern! – unter dem Luder.
Und Jahre vergehen – wie unsre Freundschaft schon längst.
Aber eigentlich hat dich jenner doch noch so'n bisken lieb.
Und Abende gibt es, da wiehert er wie ein Hengst:
"Ja, anno dunnemals, als ick Jedichte schrieb ...!"

"Auch für so'n Buch ist wider den Tod kein Kraut gewachsen!"
Da tritt ein dicker Herr in den Lumpenkeller ein.
Seinem Idiom nach ist er bestimmt aus Sachsen.
"Alte Bücher?" Und er steckt auch in dich seine Nase hinein.

Er kauft dich mit andern Scharteken gleich kiloweise.
Er weiß wohl warum, der olle bechowete Knabe!
  Er meckert und leckert und schleckert ganz leise:
  "Masel Tow! Die lange gesuchte Erstausgabe!"

Und plötzlich stehst du hochbewertet in einem Kataloge drin.
Um dich, als Sensation, tobt die Schlacht der Auktion.
Und nicht zu knapp treten dir Tränen ins Ooge rin
  Von wegen solcher Recreation und Resurrection!

Aus: Alfred Richard Meyer (1882 – 1956) Des Herrn Munkepunke Polychromartialisches, antierotischrückendes, philopolemineralogisches, peripathermasthesomet schera aishrepophilais istisches, internationasales, kontramunkepunktiertes GEMISCH-GEMASCH und andere Texte. Mit einem Nachwort hrsg. von Joan Bleicher (Vergessene Autoren der Moderne XIV hrsg. von Franz-Josef Weber und Karl Riha) Universität-Gesamthochschule Siegen (2. Auflage) Siegen 1986, S. 7f

Erklärung einiger berlinerischer Ausdrücke

Krepanse kriegen: krepieren
Krakehl: Streit
Kränke: Krankheit. „Krist de Kränke!“ ist ein Ausdruck des Ärgers.
Krabblage: hier die Bücherkiste zum Rumgrabbeln
Unter allen Luder: unter aller Würde
Bechowet: (hebr.) ehrbar
Masel Tow! Glückwunsch! Gratuliere!

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