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Das Lyrikjahr 2022 hat begonnen, das Jubeljahr 2021 (Sibylla Schwarz 400) ist vorbei. Seit 1.1.21 habe ich jeden Tag einen Tweet mit dem Werk der Dichterin abgeschickt, wer dem folgte, konnte das gesamte Lied- und Sonettwerk und etliches andere in Zwitscherportionen lesen. Es läuft noch ein paar Tage aus. Aber meine Anthologie geht weiter – viele Jubiläen heuer. 400 Jahre Molière, 300 Jahre Karsch(in), 225 Droste und Heine, 250 F. Schlegel und Novalis, 200 Jahre Weerth, 100 Jahre: B. Dimitrowa, Ágnes Nemes Nagy, Fühmann (überhaupt noch viele DDR-Lyriker, das Land ist in die Jahre gekommen: W. Werner, H. Zenker, Sabais, Bostroem, Stengel, Deicke, Wiens), Skácel, E. Burkart, Pasolini, V. Bratesch, Kipphardt, Kerouac, Klünner, Hirsh Glik, Stefan August Doinas, Raeber, Popa, Białoszewski, Kreisler, Larkin, Neto, Plath, Borowski, Saramago, Höllerer, Mekas… Etlichen davon werden Sie in diesem Jahr hier begegnen, wir fangen gleich mit Ágnes Nemes Nagy an, der großen ungarischen Dichterin, die heute vor 100 Jahren geboren wurde. Franz Fühmann, der sie übersetzt hat, folgt ihr in einigen Tagen.

Ágnes Nemes Nagy 

(* 3. Januar 1922 in Budapest; † 23. August 1991 ebenda) 

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Wer, da ein Sturm aufzog, gerudert ist, 
seinen Quadrizeps zum Zerreißen spannend, 
fort der Fußstützen Felsen stemmend, 
und wem da unvermutet jäh
die rechte Hand gewichtslos blieb, da vom ge-
splitterten Holz das Blatt nach hinten wegbrach, 
und wer in seinem ganzen Körper dann 
kippte – 
weiß, was ich weiß.

Deutsch von Franz Fühmann, aus: Ágnes Nemes Nagy, Dennoch schauen. Gedichte. Leipzig: Insel, 1986, S. 41. (In dem Buch viele Anstreichungen, einige Gedichte kannte ich da schon aus zwei früheren Büchern: seufz, war ich da jung and sure to have my way).

Nachtrag: Heute erreicht mich die Ankündigung einer Neuübersetzung der Dichterin bei Urs Engeler (roughbook) (hier):

Ágnes Nemes Nagy: Mein Hirn: ein See, herausgegeben und aus dem Ungarischen übersetzt von Christian Filips und Orsolya Kalász

Franz Fühmann nannte die ungarische Dichterin eine „Königin der magyarischen Poesie“ und forderte bei der ersten deutschsprachigen Ausgabe ihrer Gedichte: „Die Buchhandlungen und Bibliotheken sollten flaggen, mit Bannern und Wimpeln und Standarten, in den Traumfarben der Poesie.“

1 Comments on “Vergleich

  1. Das Gedicht auf ungarisch:

    Hasonlat

    Aki evezett kezdődő viharban,
    képtelenül feszítve kvadricepszét
    a lábtámasz szikláját tolva el,
    s akinek akkor súlytalan maradt
    váratlanul a jobbkeze, mivel
    repedt nyélről a lapát hátracsuklott,
    és aki akkor megbiccent egész
    testében –
    az tudja, amit én.

    Q: https://konyvtar.dia.hu/html/muvek/NEMESNAGY/nemesnagy00386_kv.html

    Und in einer deutschen Variante:

    Gleichnis

    Einer, der ruderte in aufkommendem Sturm,
    bemüht zu strecken den Quadrizeps,
    die felsartige Fußstütze schiebend,
    der unverhofft schwerelos fand
    die rechte Hand, weil
    brechend vom Schaft das Blatt zurückschwamm,
    und dem dann komplett zusammenklappte
    der Körper –
    der weiß, was ich weiß.

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