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Erste Besprechungen. Wiebke Porombka bei Zeit online:
Das in den vergangenen Jahren oftmals gescholtene Genre des Metatextes, der nicht nur das Schreiben selbst zum Thema hat, sondern in der Regel auf den Mehrwert einer auf Effekt und Lacher ausgelegten Performance baut, war in diesem Jahr mit Beiträgen von Hilde Drexler und Toby Dax vertreten. Daran kann man grundsätzlich etwas zu kritteln haben. Gerade Hilde Drexler, die als erste Autorin las, legte mit Zinnentanz aber einen klanglich und rhythmisch fabelhaft durchkomponierten Text über das Suchen nach Wort, Syntax und Plot vor, der zweifelsohne über die kurzweilige Unterhaltung hinausging. (…)
Einen originellen, wenngleich in der Ausführung noch nicht geglückten, Ansatz stellte Philip Krömer mit seinem fiktiven Zusammentreffen des Dichters H.C. Artmann und dem Massenmörder Fritz Haarmann vor.
(…)
Wer es zum morgendlichen Auftakt des zweiten Wettbewerbtages noch nicht wieder in den Saal des Heimathafens Neukölln geschafft hatte, dem entging die Lyrik von Tobias Lewkowicz. Die Gedichte des 1984 Geborenen muten auf dem Papier an wie eine Partitur und mögen so manchem Leser auf den ersten Blick sperrig und konzeptioniert erscheinen. Wer sich an die Lektüre wagt oder einfach nur Lewkowicz zuhört, der merkt unmittelbar, dass der erste Eindruck trügt. Lewkowiczs Gedichte sind still emphatische Liebes- und Familienerkundungen, die das Zufällige, Willkürliche von Entwicklungen und Ereignisfolgen durch die Anordnung der Zeilen abbilden. Immer wäre, so liest man bei Lewkowicz, auch eine andere Abzweigung im Dasein möglich gewesen.
Die Kritikerin fragt sich dann, warum die „hochkarätig“ besetzte Jury
ausgerechnet drei Texte auszeichnete (zweimal Prosa, einmal Lyrik), die weit unter dem literarischen Niveau verschiedener anderer lagen, in sprachlicher sowohl wie in inhaltlicher Hinsicht, Texte, die nichts aufrissen in der Wahrnehmung und keinen eigenen Ton fanden, kann kaum anders als sprachlos machen. Sie sollen an dieser Stelle deshalb nicht der Rede wert, sondern allein der Vollständigkeit halber genannt werden: Andra Schwarzes brave Naturgedichte, Jessica Linds Text Mama über die Zweifel und Hürden des Mutterwerdens, Theresia Töglhofers Beziehungsgeschichte Das pure Leben.“
Und schließt mit dieser Nicht-Andeutung:
Falls doch den einen oder anderen die Frage umtreiben sollte, was die Schriftstellerjury zu ihrer Entscheidung bewogen haben mag, dann kann man nur hoffen, dass er nicht auf die irrwitzige, verschwörungstheoriegesättigte Pointe verfällt, dass hier bewusst nicht das gefördert wird, was nach potenzieller Konkurrenz aussieht. Ein solcher Gedanke wäre so verrückt, dass wir ihn an dieser Stelle noch nicht einmal in einer Andeutung aussprechen wollen.
Anders urteilt Tobias Wenzel im Deutschlandradio:
Hilde Drexler: „‚Unter den Wipfeln‘, nein, scheiße, Wortwiederholung, ‚unter den …‘, warum nicht Wipfeln, ist ja kein Schulaufsatz“
Die Österreicherin Hilde Drexler und einige andere Autoren mehr schrieben über das Schreiben. Metatexte, die müde machten und bei denen man sich fragte, ob die in der Tat noch jungen Autoren denn bisher überhaupt nichts erlebt haben. Der Wiener Toby Dax brachte es in seinem Beitrag auf den Punkt, verstand aber wohl nicht den Bumerangeffekt seines Satzes:
Toby Dax: „Die Literatur ist eine anstrengende Sache, besonders wenn man nichts zu sagen hat.“
Terezia Mora: „Dann lass es halt!“
Rief Terezia Mora diesem Autorentyp zu. Ihr und ihren Jury-Kollegen Jan Brandt und Klaus Merz ist es zu verdanken, dass andere Autoren die Preise erhielten…
Es ist entweder mehr Deutungsspielraum (und in den prämierten Texten war jeweils mehr als nur solides Stimmungshandwerk, Beziehungs-, Coming-of-Age-Plotprosa) vorhanden als von Wiebke Porombka vermutet, oder mit der Hochkarätigkeit der Jury (sollte es sich tatsächlich um drei Fehlentscheidungen, die nicht der Rede wert sind, handeln) war es nicht so weit her.
Sind es nun eigentlich Dorf- oder Naturgedichte? Woran machen die Kritiker das jeweils fest? Das ist schon der Rede und Erörterung wert. Nichts davon im Zeitungs- bzw. Radiobeitrag, stattdessen insinnuierende Patzigkeit und — Revanchebedürfnisse? Puh, schwer vorstellbar, oder doch nicht?
Warum wird (außerdem) die Kritik nicht an der Jurybegründung zur Preisvergabe ausgerichtet? Das wäre transparenter. So muss man schon dabei gewesen oder sehr vertrauensselig sein, um der einen oder anderen Version mehr Glaubwürdigkeit zuzubilligen. Was hat das noch mit Journalismus zu tun? Das wollen doch Berichte sein, nicht Glossen.
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